griltest.de-1Fleischeslust. Her mit dem Grill! In dieser Saison stehen die Klotzer in der ersten Reihe vor dem prasselnden Rost, wer kleckern will, geht besser. Ein fettes Printmagazin, das sich in brünstigen Männervisionen beim Fleischgaren jedweder Art ergeht, schmeißt in seiner neuesten Ausgabe na ja, nicht gleich ganze Rinder, Kälber oder Hammel auf die Glut, aber so große Teile, dass nur noch ein Treck von ausgehungerten Abenteurern fehlt, die das alles aufessen sollen. Dekadent? Denjenigen, die sich jetzt irritiert abwenden und sich in einer gefühligen Anwandlung am nächsten Wochenende doch lieber ein ätherisches Hähnchenbrustfilet auf der Holzkohle brutzeln sehen, sei gesagt: In puncto Fleischkonsum geht bei ihnen der Trend zur Dekadenz. In früheren Zeiten – und bei einigen Metzgern mit neu erwachtem Grips inzwischen wieder – wurde nie ein Unterschied zwischen guten und schlechten, also teuren und billigen Fleischteilen gemacht. Schwein war Schwein und lecker von vorne bis hinten. Hähnchen, Ente und Pute besteht unter heutigen Ansprüchen praktisch nur noch aus Brust und Keule, und manche hätten Rind, Kalb und Lamm am liebsten von der Schnauze bis zur Schwanzspitze ausschließlich aus Filet. Beim Rest des Tiers hat die Schöpfung blöderweise ins Klo gegriffen.

Große Fleischklötze zu rösten kommt vielleicht etwas machohaft rüber, und nicht ganz zufällig wirkt die Grillschürze oft wie ein Designer-Kostüm für Neandertaler. Grillen en gros ist aber ehrlicher als das gespreizte Getue um den Anspruch auf das vermeintlich hochwertigste Teilstück, das Qualitätsbewusstsein dokumentieren soll. Denn die darin steckende Denke ist ein Produkt der Neuzeit, erfolgreich als modern und bequem heraustranchiert von den Kommerz-Strategen der Fleischindustrie.
 
Martin Lagoda, Food-Journalist und Buchautor, war Chefredakteur der Zeitschrift ESSEN&TRINKEN und ist Entdecker von Tim Mälzer. Er arbeitet heute frei für verschiedene Auftraggeber. Kontakt über www.snowdon-lagoda.de Fotos: privat, wikipedia