Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com  

 

                                  

Ungarische Sommerschauer

Die Ungarn trinken
Eine nagelneue repräsentative Umfrage des Ungarischen Statistik-Amtes, Abteilung Lebensmittel-Verbrauch, ergab geradezu Revolutionäres: Die Ungarn trinken in der Sommerhitze wesentlich mehr als im Herbst oder Winter!

 Dies wurde auch von Herstellern und Händlern bestätigt. Seien es Wasser, Milch, Wein – oder Schnaps. Allerdings ist die Verifikation des Verbrauches an hochprozentigen Alkoholika schwierig. Ja ungenau. Denn bereits die erste Orbán-Regierung ab 2010 erlaubte wieder per Gesetz die heimische Alkoholherstellung. Bis zur Jahrtausendwende war dies bei den Ostbauern üblich. Kenner (Ärzte) schätzen, dass zumindest ein Drittel der Magyaren regelmäßig, zu oft und zu viel Alkohol trinkt. Somit selten nüchtern ist. Ob es hinter der Gesetzesänderung gar irgendeine Absicht gab?

Rumänische Bären ante portas
In Rumänien vagabundieren seit jeher Bären. Selbst in Bukarest suchen sie in den Abfalleimern nach Nahrung. Daran sind die Menschen schon gewöhnt, zumal die Tiere (meist) nicht aggressiv sind. Doch im Norden, nahe der Südgrenze von Ungarn, treiben zurzeit vier ausgewachsene, böse Bären ihr Unwesen. Sie bedrohten bereits friedliche Bauern (die offenbar nicht wissen, dass die Bären es schätzen, wenn man die Hände hebt und sich langsam nach hinten bewegt). So kam es also zu der Idee, die Tiere nach Ungarn zu schicken. Zum Glück für die Südungarn wollen die Bären nicht freiwillig über die Grenze, zumal die rumänischen  Jäger nicht wagen, sie zu töten – da sei ein Fluch davor, sagen die Bauern. Außerdem gibt es in der Gegend keinen, der sich auf Bärentransport spezialisiert sei. Da bleibt nur das Beten, sagen alle, das werde schon helfen. Auf der anderen Seite des Grenzzauns  wird freilich dagegen-gebetet. Noch ist nicht klar, wen welcher Heilige erhört.  

Kinder-retten & Füße-kitzeln-lassen im Strandbad
Ich bin erst 79 – trotzdem habe ich beschlossen (jedenfalls in diesem Jahr) nicht am 180 km langen Fahrradmarathon (Carpaten MTB Epic 2018) durch die Südkarpaten teilzunehmen. Stattdessen gehe ich mit Freunden und Freundinnen täglich in eines der Freibäder – zum Kinder-retten. Auf die Idee kam ich schon vor Monaten im Palatinus-Strandbad. Ich stand im Kinderbecken mit der kleinen Tochter einer Freundin, Anuschka, der das Wasser bis zur Brust reichte. Wir besprachen die Geheimnisse des Schmetterling-Schwimmens. Plötzlich sah ich links von mir einen Winzling, der offenbar um sein Leben zappelte. Ich nahm das Kind hoch und wollte gerade nach seinen Eltern schauen, als es ein junger Mann mir aus den Händen riss – ohne ein Wort zu sagen. Er hatte den Kleinen einfach vergessen. Immerhin, seine Freunde winkten mir zu. Doch Anuschka stellte entsetzt fest:

Das Palatinus-Strandbad

„Das war aber kein netter Mann!“.
Seither retten wir zu fünft Kinder. Es sind auffallend viele, selbst aus weit entfernten Ländern, mit denen wir zwar nicht sprechen können, doch meist genügt es, sie aus dem Wasser zu ziehen. Und im Fundbüro für Verlorene warten Profis, die in verschiedenen Sprachen per Lautsprecher die Eltern alarmieren.
Nach fünf Geretteten gibt es Pizza, und ganz zum Schluss – und wenn wir wieder einmal im Palatinus sind – lassen wir uns bei Réka die Füße kitzeln. Dafür beschäftigt sie etwa 70 Knabberfischlein (Garra Rufa). Der Spaß findet in ihrem hübschen, auf einer Seite offenen, weißen Zelt statt, das unter alten Platanen steht. Man sitzt erhöht auf dicken Kissen, vor sich die gläsernen Wannen. Im lauwarmen Süßwasser warten schon die Knabberfische. Sie sind gleich zur Stelle, wenn zwei Beine eintauchen und beginnen sogleich mit ihren Sauglippen die Hautschuppen abzuzupfen. Es kitzelt spürbar, ist angenehm und kostet umgerechnet fünf Euro für zehn Minuten. In der Zeit verschwindet die härteste Hornhaut. Einen zusätzlichen Reiz für die Unternehmerin birgt die Tatsache, dass die Fischlein durch ihre Arbeit auch satt werden und keine weitere Nahrung mehr brauchen.
Den Gästen gefällt’s, Réka verdient gutes Geld, und das Palatinus-Bad ist um eine Attraktion reicher.

Empörung
Auf Antrag des Ungarischen Helsinki Komitees hat der Europäische Gerichtshof in Straßburg Recht gesprochen: Die Ungarische Regierung muss dafür sorgen, dass die Menschen in den Transitzonen  menschenwürdig mit Nahrung versorgt werden. Anlass war der Fall einer Frau aus Afghanistan, die man mit vielen anderen hinter Gittern an der Grenze zu Serbien Tage lang hungern lies. Selbst den Hilfsorganisationen wurde der Zutritt verwehrt.
Die Regierung verwies in der ersten Reaktion auf Gesetze bzw. Verordnungen und die Suche nach einer Lösung. Doch die weltweite Empörung war so groß, dass ein Regierungssprecher am 24. August verkündete: Selbstverständlich werde jeder Einwanderer in den Transitzonen verköstigt, sei immer schon so gewesen.
Laut einem neuen Gesetz des Ungarischen Parlaments, muss sich jede Organisation, die Einwanderern oder Flüchtlingen Hilfe leistet, beim Finanzamt registrieren lassen und auf die erhaltenen Spenden 25 Prozent Sondersteuer zahlen. Das Ungarische Helsinki Komitee plant sich als Partei registrieren zu lassen, dann entkommt es dieser Verpflichtung – wie die Regierungspartei auch.

  Fotos: privat/de.palatinusstrand.hu