Unser Autor

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website ,www.ungarnaktuell.deaußerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

                 Unterricht in Diskriminierung & Viktors seltsame Reisen

Attila ist zwanzig Jahre jung, will Sozialarbeiter werden und studiert das Fach in Budapest. Er kommt gut voran, seine Lehrer mögen ihn, besonders der, mit dem Attila eine gewisse Ähnlichkeit hat: dichte schwarze Locken und eine gräulich-braune Haut. Beide sind Roma. Und das ist im Ungarn von heute nicht lustig.
Attila wird nur allzu oft von Polizisten auf der Straße angehalten und muss seinen Personalausweis zeigen, dazu erklären, wohin er gehe und auch schon mal seine Taschen leeren. Kürzlich, als er mit seinem Lehrer unterwegs war, musste der sogar seine Schuhe ausziehen, um zu beweisen, dass er dort kein Rasiermesser oder eine andere Waffe versteckt hatte. „Und das auf offener Straße“, sagt Attila. „Viele Menschen bleiben angesichts einer solchen Szene stehen, und manche sagen: ‚Ja, ja, die Zigeuner, die haben wieder etwas ausgefressen.‘“ Tatsächlich „werden Roma dreimal so oft kontrolliert wie ‚Weiße‘ “, sagt ein Sozialarbeiter von der Gesellschaft für die Freiheitsrechte, ungarisches Kürzel: TASZ.  
Zusammen mit den Anwälten dieser Organisation kämpft Attila gegen die diskriminierende und „nicht zielführende“, sprich: sinnlose, zudem erniedrigende Behandlung in der Öffentlichkeit durch die Straßenpolizei. Und tatsächlich hat er unlängst in einem bereits zwei Jahre zurückliegenden Fall Recht bekommen.
Aber der Teufel schlägt zurück. Nach einem alten Gesetz von 1994, das immer verlängert wurde, kann die Polizei eigenmächtig „Strenge Kontrollen“ verordnen. „Das hat einen Sinn“, sagt Attila, „wenn nach einem Bankraub die umliegenden Straßen abgesperrt und die Passanten kontrolliert werden, ob sie einen Sack mit Bargeld bei sich haben.“ Doch in Ungarn werden seit 2018 abwechselnd ganze Landesbezirke beziehungsweise ganz Budapest‚ „streng kontrolliert“. Allerdings gilt es nicht für „Weiße“. Ich, Ihr Berichterstatter, wurde in den vergangenen zehn Jahren, seit ich in Ungarn lebe, kein einziges Mal kontrolliert. Statt dessen trifft es immer wieder Roma. Attila plant denn auch, sofort nachdem er sein Studium beendet hat, Ungarn zu verlassen.
Die ganze Tiefe des Irrsinns kann man erst ermessen, wenn man weiß, dass allein in den vergangenen Monaten zusammen 2.500 Beamte und Angestellte des Staates und allein 1.500 Polizisten gekündigt haben – wegen miserabler Bezahlung und Streichung der Sonderrente. Und: In den letzten fünf Jahren ist die Zahl der jungen Menschen, die sich zur Polizisten-Ausbildung angemeldet haben, um drei Viertel zurückgegangen.
Orbáns Reisen und Nichtreisen
Unsere EU-Schwestern und -Brüder in Portugal kümmern sich immer noch um die Geschicke ihrer Mitmenschen in den ehemaligen Kolonien. So berichtete die Lissabonner Wochenzeitung Espresso jüngst über die gescheiterte Reise des ungarischen Ministerpräsidenten nach Angola, nachdem der angolanische Ministerpräsident Joao Laurenco  ein Treffen mit Orbán abgesagt hatte. Er mochte sich nicht mit dem xenophoben, rechtsextremistischen Politiker zeigen, der Europa vor den Afrikanern verteidigen wolle. So hatte Laurenco unerwartete Terminschwierigkeiten – und Orbán blieb zuhause.
Ich, Ihr Schreiber, sehe hinter der kleinen Meldung einen Abgrund von Größenwahn, aber auch die Unfähigkeit Orbáns und seiner Diplomatie. Hatte er gedacht, dass man ihn überall auf der Welt gern sehen würde? Müsste? Und sein Apparat: Wieso hatte man sich nicht rechtzeitig und diskret erkundigt, ob der fremdenfeindliche ungarische Ministerpräsident in Angola willkommen sei? Zumindest seltsam.

Die Kapverden sind grün

Einen Ausflug wollte unser Mann aber doch noch machen. Also flog Viktor Orbán nach Praia, der Hauptstadt der Kapverden, die sich auf der Insel Santiago, westlich von Nordafrika, befindet. Und am Ende seines zweitägigen Aufenthaltes kündigte er an, er werde dafür kämpfen, dass die Inselbewohner zukünftig ohne Visum in die Länder der Europäischen Union reisen dürfen. Außerdem wolle er mit einem Kredit von 35 Millionen Euro das Land unterstützen. Und schließlich das Musik-Unterricht-Programm des ungarischen Komponisten und Musikpädagogen Zoltán Kodály durch ungarische Fachleute in die Schulen der Inseln exportieren.
Das Programm ist gut. Damit wurde auch ich, Ihr Autor, erfolgreich gequält, und einige Millionen japanischer Kinder kamen ebenfalls in diesen Genuss. Aber das alles war schon lange vor Orbán. Fotos: privat/ Kapverden.de