Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

Der Hirtenhund, die Prinzessin und das Glück

Betyár, der reinrassige Puli, ein magyarischer Hirtenhund männlichen Geschlechts, kam in einer ostungarischen Kleinstadt mit elf anderen Welpen auf die Welt. Er hatte pechschwarze Locken und ähnelte einem Wollknäuel.
Es war die Zeit der 1980er Jahre, als viele ungarische Emigranten, zumal die wohlhabenden Herren in den deutschsprachigen Ländern, einen Hund aus der alten Heimat als lebendige Erinnerung haben wollten. Möglichst einen männlichen – ohne das Temperament der Rüden zu kennen. Den Züchtern wiederum war das Geschlecht egal, sie wollten für den Preis Qualität liefern. So bekam Betyár sogar Deutschunterricht: „Komm!“, „Sitz!“, „Hör auf zu bellen!“, „Beiß nicht!“ und für alle Fälle: „Lass sofort das Baby los!“.
Das Geschäft florierte, die Preise stiegen. Bald konnten sich Berufshirten keine reinrassigen Hirtenhunde mehr leisten. Mein Onkel jedoch, Unternehmer in einer rheinischen Kleinstadt, konnte es: Betyár das „Wollknäuel“ kam per Kurier und war süß. Die drei Kinder lernten schnell, bei ihm vorne und hinten zu unterscheiden: Eine Paprikawurst in seine Nähe halten, mit welchem Körperteil der Hund nicht danach schnappt, ist hinten – und umgekehrt. Als er größer wurde und gerade nicht aß oder schlief, jagte er herzhaft bellend die Kinder, die immer mehr Angst vor dem kleinen Ungeheuer bekamen. So wurde das Acht-Zimmer-Haus mit dem schmalen Garten bald zu klein für ihn. Denn in Betyárs Seele lebte der ererbte Traum von der endlosen ungarischen Tiefebene mit den unzähligen Schafen, die er, als seine Herde, laut bellend von einer Weide zur anderen treibt.
Kurz, der Hund wurde unerträglich. Mein Onkel rief (auch) mich an und bat um Hilfe. Also telefonierte ich viel und hörte bald von einer hochadeligen Dame in Holstein, die neben einem Schlösschen mit weitläufigem Park eine Sammlung von reinrassigen Hunden habe, die nicht zu ihren vorigen Besitzern passten: Darunter gar einen Afghanischen Windhund. Ich rief sie an – sie lud mich ein, samt Hund.
Also reiste ich mit dem Auto ins Rheinland und von dort mit Betyár nach Holstein. Die „Hundeprinzessin“, wie man sie nannte – und die sich bereits über die Eigenheiten der Puli-Rasse erkundigt hatte – war zauberhaft. Ihr Schlösschen, der Park und die freudig schwanzwedelnde Hundebande ebenfalls.
Allerdings, wie ich später von ihr hörte, waren das für Betyár zu viele fremde Hunde, dafür fehlte ihm eine Schafsherde. So nahm er bald Reißaus. Er kam in die nächste Kleinstadt und sah dort an einer Fußgänger-Ampel eine Gruppe Zweibeiner, für ihn offensichtlich Schafe. Er umkreiste sie fröhlich bellend und wollte sie zur anderen Straßenseite begleiten. Doch auf halbem Weg kam ihnen eine andere Gruppe entgegen. Er war außer sich. Sprang wie verrückt hin und her, gottlob biss er niemanden. Schließlich erschien die Polizei mit einem Hundefänger, der Betyár mit einem Netz einfing.
Zum Glück kannte jemand in der Dienststelle die „Hundeprinzessin“, die denn auch schnell herbei gefahren kam. „Der kleine Kerl zitterte am ganzen Leib“ erzählte sie später, „sah mich verzweifelt an und sprang heilfroh in den Kofferraum.“
Die Geschichte ging gut aus. Denn schon am nächsten Tag, einem Markttag, stand sie plötzlich vor einem Stand und las „BIOLAMMFLEISCH VON DITHMARSCHER DEICHLÄMMERN“. Da ging ihr ein Licht auf. Der Schäfer war entzückt, Betyár war entzückt, und die Schafe auf dem Deich waren es vermutlich auch.
Inzwischen hat der Hund das Zeitliche gesegnet, dafür gibt es umso mehr Züchter wunderbarer magyarischer Vierbeiner (siehe Internet). Falls Sie also, liebe Leserin, lieber Leser, eine als Hund getarnte Nervensäge (am besten eine männliche) Ihr Eigen nennen und verschenken (!) möchten, schauen Sie ins Netz. Wenn Sie freilich Schäfer sind, dessen Herde von Wölfen attackiert wird, empfehle ich Ihnen den großen ebenfalls ungarischen Komondor, den „König der Hunde“, bei dessen Anblick selbst hungrige Wölfe eilig das Weite suchen.
Foto: privat/puli.de/ain.jo