Migranten, Einwanderer, Asylanten und die Politik –
von einem der weiß, wie es sich anfühlt, ein Fremder, ein Flüchtling zu sein

Das Karpatenbecken

Die Urahnen der heutigen Ungarn kamen im neunten Jahrhundert als Flüchtlinge aus Asien nach Europa. Selbst heidnische, wilde Reiter  wurden sie von einer noch wilderen Horde verfolgt. Im Karpatenbecken fanden sie endlich ein Paradies: Flüsse und Seen voller Fisch, Wälder voller Wild. Kaum vollgegessen, überfielen sie halb Europa, bis sie 955 von Otto I. von Habsburg (ursprünglich Raubritter) am Lech vernichtend geschlagen wurden. Daraufhin wurden die Ungarn Christen, und Otto I. wurde Kaiser.

Heute benehmen sich Flüchtlinge gesitteter. Netzpolitik.org schreibt gekürzt, sinngemäß: In Deutschland zeigt die Kriminalität sinkende Tendenz; die Bundesrepublik „zählt zu den sichersten Ländern der Erde“. Ähnlich die konservative Neue Zürcher Zeitung: „Straftaten in Deutschland gehen zurück; der niedrigste Stand seit 1992, mit einer Aufklärungsquote von 55%, Rekordniveau.“ Und das, obwohl die Deutschen und die restlichen Europäer Flüchtlinge aufnehmen. Laut Eurostat: Schweden 8,4 pro 1000 Einwohner, Ungarn 4,3, Österreich 3,3, Deutschland 2,5 usw.

Ob man’s weiß oder nicht – Menschlichkeit kann ein gutes Geschäft für beide Seiten sein: In den Aufnahmeländern verdient nicht nur der Mensch, der die Ankommenden registriert, bares Geld, auch der, der sie zu ihrem neuen Wohnort transportiert, der ihnen eine Bleibe vermietet, eine vorübergehende Arbeit oder Sprachunterricht gibt usw. Denn wenn die Einbürgerung ordentlich gemacht wird, zahlt der Neubürger schließlich Miete, Steuern, kauft Nahrung, Kleidung etc.

Ein Grenzzaun in Ungarn

Da es in Ungarn immer alles etwas anders ist, braucht ein Migrant nur in einem Offshore-Vermittlungsbüro für ca. eine halbe Million Euro ungarische Staatsanleihen zu kaufen, dazu etwas an Gebühren zahlen – und schon ist er eingebürgert. Ein ungarischer Staatsbürger, dem die Welt offen steht – auch wenn er irgendwo als Verbrecher gesucht wird.
Allerdings: das Foto einer echten, armen Flüchtlingsfamilie, an der ungarischen Grenze im Stacheldraht verheddert, war beim World-Press-Fotos-Wettbewerb 2015 das Bild des Jahres.

So geht es dem christlich-gläubigen Viktor Orbán nicht um Menschen in Not. Es geht ihm darum, Schreckgespenster zu pflegen – vor denen er Ungarn und Europa retten will. Die Masche ist nicht neu, aber gut, um Wahlen zu gewinnen. Mit seinem Kampfruf: „Das Boot ist voll!“ ist Franz Josef Strauß 1979 beinahe Bundeskanzler geworden. Orbán ist 2018 wieder gewählt worden und bekam Sympathiebekundungen aus Polen, Österreich und Bayern.

Gleichzeitig brauchen alle Industrieländer mehr arbeitende Menschen, ob Flüchtlinge oder Migranten. Sie einzugliedern ist wesentlich preiswerter, als ein Kind aufzuziehen – es geht auch schneller. Und ausgerechnet Ungarn braucht ganz dringend Migranten. Weil die Menschen hierzulande zu wenig zum Leben verdienen (z.B.: die deutsche Autoindustrie kostet ein ausgebildeter Arbeiter in Deutschland stündlich 59 €; in Ungarn zahlen dieselben Firmen 11 €), wandern viele aus. Von den ca. zehn Millionen, die 2005 im Lande lebten, ist ca. eine Million fort. Lehrer, selbst Köche und Kellner fehlen. Und natürlich Ärzte und Krankenschwestern. In einem Budapester Krankenhaus ist Ende 2017 eine junge Frau, die ein gesundes Kind auf die Welt gebracht hatte, verblutet. Die anwesenden Ärzte und Schwestern kümmerten sich gerade um ähnlich dringende Fälle. Sie waren zu wenige.
Dafür haben einige Krankenhausdirektoren eine „Alarm-Liste“ – mit syrischen Ärzten. Die haben vor vielen Jahren im sozialistischen Bruderland Ungarn mit einem staatlichen Stipendium studiert, hier gearbeitet, geheiratet und sind geblieben. Die meisten sind inzwischen Rentner. Doch auf einen Hilferuf eilen sie – mit wehendem schlohweißem Haar – zu Hilfe. So habe ich gerade gestern meinen alten syrischen Freund Karim gesehen, kurz bevor er im Krankenhaus St. Johannis verschwand. Er hatte mich auch gesehen. Wir winkten einander zu. Dann war er weg.

Ungarn liebt Flüchtlinge – heimlich.

Aus Sicht der ungarischen Regierung war (und ist) das kein Problem: Jeder Ausländer, der ordentlich Staatsanleihen kaufen und Gebühren zahlen wollte, selbst wenn er ein gesuchter Gangster war (der versprach, sich zu bessern) bekam einen ungarischen Pass und reiste bald ab. Auch kein Problem: Für die Angstpropaganda brauchen der Regierungschef und seine Mannschaft keine leibhaftigen Flüchtlinge/Einwanderer. Sie wären sogar hinderlich, wenn sie sich ordentlich benehmen. Fotos: wikipedia