Kolumne Bratkartoffeln_1024_768Koch Jamie Oliver verriet in einem Interview, das er noch vor dem gerade zurückliegenden Feiertagsmonstrum gab, bei ihm kämen zum Fest u. a. Bratkartoffeln auf den Tisch, „und zwar nicht irgendwelche. Es müssen die perfektesten Röstkartoffeln der Welt werden.“  Nun ja, soll er doch, aber ob man einem wie ihm diese auf den ersten Blick nach falscher Bescheidenheit müffelnde Pose abnehmen kann??

Doch halt. Als der einstige hessische Ministerpräsident Roland Koch damit kokettierte, das Kochen gehöre zu seinen Leidenschaften, beschloss man beim Wochenmagazin Stern, seine Künste am Herd zu testen. Und zwar sollte er Bratkartoffeln zubereiten. Ach. Konnte es nicht etwas Besonderes sein, etwa ein Trüffelsoufflé, rosagebratenes Lammcarré oder Gänseleberpastete?
Bratkartoffeln, gähn, hat doch schon unsere Omma immer so gut gemacht. So what?
Ist es nicht so, dass wir, wenn wir essen gehen, uns bei Freunden bewirten lassen oder selbst für Gäste kochen, mehr oder weniger immer nur das Besondere im Focus haben? In unserem fröhlichen Paradies des Vollsortiments – oder sollte man besser sagen: in der stickigen Hölle des Überflusses – ist der Überdruss zum Motor für die Jagd nach dem Besonderen geworden. Man muss sich schon ganz schön anstrengen, um etwas zu finden, das das Prädikat „besonders“ verdient. Das klappt vermeintlich noch am besten, wenn wir ein Auge auf den Kaufpreis haben: teuer = besonders. In dieses Schema wollen (Brat-)Kartoffeln – sie stehen hier von Erbsensuppe über Kräuterquark bis Brathering nur beispielhaft für die scheinbaren Banalitäten des Alltags – natürlich nicht hineinpassen.
Haben Sie schon einmal jemanden ausdrücklich zu Bratkartoffeln eingeladen? Und warum nicht? Richtig, weil Sie sich nicht trauen – zu billig, kein Blockbuster, unstylisch. Dabei ist eigentlich nur die Perspektive falsch: Angenommen, man würde Sie zu Bratkartoffeln einladen. Würden Sie darin nicht augenblicklich etwas Originelles sehen? Und nicht auch sofort hohe Ansprüche an die Qualität der Bratkartoffeln stellen? Um sie dann vielleicht ganz neu zu entdecken? Fangen wir also an, uns im Kartoffelbraten zu üben. Und zwar jeder so gut er kann. 
 
Martin Lagoda, ehemaliger Chefredakteur des Magazins Essen & Trinken, arbeitet frei als Journalist und Buchautor. Er hat vor gut zubereiteten Bratkartoffeln nicht mehr Respekt als vor anderen gut zubereiteten Gerichten. Aber sie sind für ihn immer etwas Besonderes. Kontakt über www.snowdon-lagoda.de. Fotos: Wikipedia/privat