Abstruserweise ist auch der Geschmack von Lebensmitteln Moden unterworfen und zwar jener Geschmack, den wir ihnen durch eigenes Zutun, nämlich das Würzen geben. Mit Schaudern erinnert man sich noch an gerade erst ein paar Jahre zurückliegende Schandtaten, als vom Grünkohl über den Matjes bis zum Gulasch alles mit Vanille gewürzt wurde.

Da kann man fast von Glück sagen, dass sich der Zeitgeist nicht Sassafras, Bockshornklee oder Kurkuma als Universalwürze für jedes und alles auserkoren hatte, auf dass sich die willfährige Herde der Immerallesgutfinder und Immerallesmitmacher in der üblichen ekstatischen Ehrfurchtsgestik wieder auf die Knie geworfen hätte. Tatsache ist leider, dass im Kochwahn unserer Zeit  der Begriff Würzen beträchtlich an Gusto verloren hat. Würzen – die terminologische Allzweckwaffe in Rezeptanleitungen – schmeckt entweder nach einschläfernder Routine mit Pfeffer und Salz. Oder aber Würzen hat den Hautgout einer planlosen Verwendung von allem, was gerade griffbereit ist – das naive  fantasievoll würzen! stiftet doch nur zu schrecklichen Geschmackswursteleien an.
Aber damit könnte – sollte – jetzt Schluss sein. Abgesehen davon, dass die Ernstzunehmenden und Besonnenen unter den Küchenkönnern ohnehin lieber auf ihre Erfahrung setzen, können sie jetzt zunehmend auch wissenschaftliche Erkenntnisse heranziehen. Die methodischen Zauberformeln, mit deren Hilfe man seinen Zubereitungen neue geschmackliche Weihen geben kann, heißen Food-Compairing und Food-Completing. Beiden Verfahren liegen Analysen der essbaren Aromaträger zugrunde, wobei das Gesamtaroma nach einem für alle Lebensmittel geltenden System (es gibt allerdings noch unterschiedliche Ansätze) in seine Einzelteile zerlegt wird. Beim Compairing werden gleiche Geschmackselemente zusammengebracht und verstärken sich: Voller Verblüffung stellt man fest, dass beispielsweise Blauschimmelkäse oder Kaffee ganz hervorragend zu Rindfleisch passen. Oder schon einmal Schwein mit Aal versucht? Passt! Beim Completing werden ungleiche Geschmackselemente ergänzt, um das Aromenspektrum zu erweitern. Um noch einmal beim Rindfleisch zu bleiben: Mit Birne, Ingwer oder Zimt zeigt es sich plötzlich von ganz neuen Seiten. Beide Verfahren, die man auch gleichzeitig anwenden kann, geben nun allen, die beim Würzen bisher entweder ängstlich, übermütig, mutwillig oder untalentiert waren, etwas, das auch dem Kochergebnis gut tut: Geschmackssicherheit.
 
Kulinarik Martin Lagoda_8631Martin Lagoda, ehemaliger Chefredakteur des Magazins Essen & Trinken, arbeitet frei als Journalist und Buchautor. Kontakt über www.snowdon-lagoda.de. Fotos: CO/privat