Da kommen sie. Der erste hört auf zu kraulen, richtet sich auf und steigt über die letzte Welle, zieht schon am Reißverschluss seines Neoprenanzuges und läuft den Strand hoch, vorbei an den applaudierenden Schaulustigen. Nach 1,9 km Schwimmen in der Ostsee ist der erste Teil des „Ironman 2015“ in Binz auf Rügen geschafft. Tausend Sportler aus 33 Nationen nahmen in diesem Jahr teil, und ihr diesjähriger Durchgang lieferte eigentlich eine gute Vorlage, das schöne Seebad samt Umgebung kennenzulernen.
Nach dem Schwimmen ging es barfuss auf einem Teppich durch die Paul- und Hans-Beimler Straße zum Hauptbahnhof, gebaut 1938 und heute direkt mit München, Köln, Frankfurt und Wien verbunden. Dort wechselten die Athleten in ihre Radfahrerkluft und schwangen sich in den Sattel: zur 90 km Fahrradtour.

Die Zuschauer hatten derweil Zeit, sich die eindrucksvolle Bäderarchitektur anzuschauen. Die „Villa Salve“ zum Beispiel, Strandpromenade 41, die 1899 im italienischen Neorenaissance-Stil erbaut und 1993 liebevoll restauriert wurde. In ihr waren schon Helmut Kohl und Angela Merkel, Prinz Haakon von Norwegen und seine Frau Mette-Marit, Uwe Seeler und Henry Maske zu Gast. Oder die „Villa Ruscha“, Strandpromenade 31, die 1896 mit viel Laubsägedekor im Schweizer Chaletstil errichtet und 1924 neu als „Weinhaus Ruscha“ eröffnet  wurde. Oder das elegante „Kurhaus Binz“ , Strandpromenade 27, von 1908, dessen Eigentümer Adalbert Kaba-Klein zweimal enteignet wurde, 1938 durch die Nazis und 1953 im Zuge der „Aktion Rose“ durch die DDR-Behörden, die damit Privatbesitz abschaffen wollten. Heute erinnern vier Stolpersteine vor dem Kurhaus an die jüdischen Besitzer.
Stadtsp.3  BaumwipfelAdlerhorst_von_oben_NEZRDen Espresso zwischendurch trinkt man am besten auf der Terrasse des „Hotel am Meer“, Strandpromenade 34, denn „wir haben den besten“, behauptet die Juniorchefin Johanna Schewe selbstbewusst.
Derweil sind die ersten Iron-Männer und -Frauen am 82 m hohen und 1.250 m langen Baumwipfelpfad im Naturerbe Zentrum mit seinem großartigen Rundblick über ganz Rügen bis nach Stralsund angekommen, nachdem sie vorher schon an Prora vorbeigeradelt sind, jenem gigantischen KdF (Kraft  durch Freude) – Bad, das 1936-39 hochgezogen, aber niemals endgültig fertig gestellt wurde. 20.000 Menschen sollten in den acht, jeweils 550 m langen Blöcken gleichzeitig Ferien machen können, so die Idee. Nach dem Krieg zog erst die russische, dann die Volksarmee der DDR dort ein, nach der Wende verfiel der „Koloss von Prora.“ Jetzt werden die hässlichen Bauten entkernt und neu aufgeteilt, bekommen Balkone, viel weiße Farbe und sollen als Ferienwohnungen verkauft werden.
Stadtsp.4 Schmachter SeeKV_Binz_57Nun haben die ersten Sportler ihr Rad bereits wieder am Hauptbahnhof abgestellt und sind losgelaufen: 21,1 km, aufgeteilt in 2,5 Runden durch die Straßen von Binz und entlang am Schmachter See, dessen Ursprünge aus der Eiszeit stammen und der mal Teil der Ostsee war, bis die natürlich entstandene Nehrung „Schmale Heide“ ihn vor etwa 5.000 Jahren abtrennte. Im Naturschutzgebiet rund um den idyllischen See leben vom Aussterben bedrohte Vögel: Rohrdommeln und Drosselrohrsänger, Graugänse und Gänsesäger, Zwergsäger, Seeadler und Fischadler.
Die Zuschauer an der Hauptstraße haben mittlerweile alle Stühle vor der Bäckerei Peters mit seinen köstlichen Kuchen und vor dem Restaurant Rialto mit seinen super-leckeren, gigantisch großen Eisbechern besetzt und warten gespannt auf die ersten Läufer. Das Ziel ist unmittelbar vor der 370 m langen Seebrücke, die am 21. Mai 1994 eingeweiht wurde. An eben dieser Stelle hatte seit 1902 eine 560 m lange Holzbrücke gestanden, die 1904 durch Hochwasser zerstört und 1910 als „Prinz-Heinrich-Brücke“ wieder eröffnet wurde. 1912 brach die Brücke unter zu großem Ansturm zusammen, 17 Menschen ertranken. Als Konsequenz daraus wurde am 19. Oktober 1913 die Deutsche-Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) gegründet.
Doch jetzt hört man Applaus und lauter werdende Bravorufe die Hauptstraße entlang: Nach 3 Stunden, 50 Minuten und 1 Sekunde erreicht der Lokalmatador Michael Raelert das Ziel – und damit knapp 5 Minuten vor dem Zweitplatzierten. Der nächste Ironman in Binz findet übrigens am 11. September 2016 statt.
 
Fotos: CO/ichbinzwieder.de