Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

Enttäuschendes Wahlergebnis

Achter April 2018, vor dem Wahlbüro des fünften Wohnbezirks in Budapest. Ein altes Ehepaar, elegant in Schwarz gekleidet, verlässt das Büro. Meine ungarische Kollegin Marika eilt ihm entgegen. Ich hinter ihr her. Sie fragt mit ihrem engelhaften Lächeln, wem die beiden ihre Stimmen gegeben haben. Der Mann antwortet mit ernstem Gesicht: „Der Sicherheit unseres Landes.“ Gleichzeitig überreicht ihm seine Frau ein weißes, frisch gewaschenes und gebügeltes Taschentuch. Der Mann wischt sich vom rechten Auge umständlich eine Träne ab.

Gut. Mit der erreichten Zwei-Drittel-Mehrheit im Budapester Parlament kann die alte und neue Regierung recht bequem regieren. Trotzdem. Ich war enttäuscht.

Die größte Partei Ungarns, heißt Fidesz, zu Deutsch „Bund Junger Demokraten“. Parteichef und Gründungsmitglied Viktor Orbán ist denn auch erst 54 Jahre alt. Vor der politischen Wende 1989 war er Vorsitzender des „Kommunistischen Jugendbundes Ungarns“. Vom Herbst 1989 an durfte er mit einem Stipendium des ungarisch-US-amerikanischer Milliardärs Georg Soros die britisch-liberale Philosophie in Oxford erforschen. Dies brach er 1990 ab und ging wieder in die Politik. Nach mehreren Erfolgen und Misserfolgen wurde er 2010 (wieder) zum Ministerpräsidenten gewählt. Zudem erreichten er und die Fidesz, damals das erste Mal, die Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament, die Änderungen der Verfassungsgesetze (die dem deutschen Grundgesetz entsprechen) ermöglichte.

Seither bemüht sich Viktor Orbán, dem ungarischen Volk das rechte Denken beizubringen. Dazu hat er siebenmal Gesetze der Verfassung geändert, dabei auch die Einteilung der Wahlbezirke. Er hat die größte Tageszeitung der Opposition schließen lassen. Alle Rundfunksender und Zeitungen auf dem Land hat er unter seinen Einfluss gebracht. Dort lasen bzw. hörten die Menschen vor der Wahl in diesem April nur Orbáns Reden. Er reiste mit Sirene und Blaulicht durchs Land und warnte vor den Gefahren, die Ungarn von „Brüssel“, von der UN, von Soros‘ Budapester Central European University (CEU) drohen. In zahlreichen Mietshäusern der Hauptstadt fanden unterdes die Bewohner (so auch ich) in ihren Briefkästen das Foto eines unsympathischen, arabisch aussehenden Menschen, der angeblich für sich und seine große Familie eine Wohnung suche. Und auch die vielen unter einander zerstrittenen Oppositions-Parteien, darunter einige neue von der Regierung finanzierte, trugen zum Erfolg der Fidesz bei.

Schließlich bekam der Ministerpräsident gar noch Hilfe vom lieben Gott: Die katholischen Pfarrer riefen die Gläubigen von der Kanzel zum Gebet für ihn und seinen Wahlerfolg auf.

Angesichts solch übermenschlicher (!) Anstrengungen für den Sieg der rechten Gesinnung, bei der Orbán und die Fidesz mittlerweile sogar die rechtsextreme Partei Jobbik ( „Die Rechte“) rechts überholten, hätte, so finde ich, der Sieg eigentlich noch glänzender ausfallen können. Ich dachte dabei an ca. 99 Prozent der Wählerstimmen. Ja, wenn ich es recht bedenke, noch etwas mehr.

Immerhin: Die warmen Worte, in die unsere Bundeskanzlerin die guten Wünsche zum Wahlsieg des Viktor Orbán eingewickelt hat, sie haben mich getröstet – wenn auch nur ein wenig.

Nachschlag: Etwa hunderttausend Menschen protestierten am Samstag, dem 14. April in Budapest gegen Unregelmäßigkeiten bei der Parlamentswahl.