Meleghy- TheißDie Geisterfähre an der Theiß. Im Sommer des Jahres 1990, als ganz Ungarn voller Hoffnung das Ende des „real existierenden Sozialismus“ feierte, wurde ich von Freunden zum Reiten in ein Gestüt nach Ostungarn eingeladen. Ich fuhr mit dem Auto. „Du musst bei Lónya die Fähre nehmen, denn eine Brücke über die Theiß gibt es hier nicht – aber die Stelle findest selbst du“, klang mir noch im Ohr. Ich habe die Station tatsächlich gefunden. Sie war zauberhaft. Der breite grün-blaue Fluss, riesige Trauerweiden an den Ufern, die altersschwache Fähre, von einem knatternden Dieselmotor an einem Stahlseil hin- und hergezogen – märchenhaft.
An Bord meist ältere Frauen. Dunkle Kopftücher, abgewetzte Kleider, Fahrräder, Hacken, Spaten. Wenige Männer, die offensichtlich ebenfalls ihren Gemüse- oder Weingarten im Osten bestellen wollten. „Ein deutsches Auto“, sagte der Fährmann in nagelneuen Jeans, „und ein deutscher Herr, macht 2000 Forint (damals etwa drei Mark). Wenn der Herr allerdings nicht auf die Aushändigung einer Fahrkarte besteht, nur 1000 Forint.“ Er stellte sich vor: „János“. Ich entschied mich ohne viel nachzudenken für den 1000-er. Die Zeit mit den Freunden und den Pferden war schnell verflogen. Die kaum berührte Landschaft, die Luft, die Düfte der Pflanzen, die zauberhaften Pferde: Ich werde sie nie vergessen.
Auf der Rückfahrt begrüßte mich János, wie einen alten Freund. Ob der Herr aus Deutschland den vollen oder den halben Preis bezahlen möchte, wollte er wissen. Es war mir zwar etwas mulmig, blieb aber beim Halben. János machte seine Runde, dann kam er wieder zu mir. „Seltsame Zeiten“, sagte er, „sehen Sie diese Fähre, diese vielen Menschen, die sie benutzen. Mein Vater hat schon hier gearbeitet. Wir pflegen hier alles, der Diesel kommt aus der Bezirksverwaltung, auch schon mal ein neuer Motor. Alle waren immer zufrieden. Aber jetzt“, seufzte er, „die neuen Bürokraten in der Kreisstadt wollen den Betrieb einstellen – weil angeblich kein Mensch mit der Fähre fährt. Können Sie sich das vorstellen?“             
Na ja, wenn du keine Karten verkaufst, dachte ich und konnte mir das Lachen kaum verkneifen. Habgier macht offensichtlich blind. János‘ verhältnismäßig kleine Gaunerei wurde von der Orbán-Regierung in den vergangenen zehn Jahren zur Perfektion entwickelt – aber er selbst kann davon nicht mehr profitieren. Er arbeitet jetzt auf einer großen Autofähre zwischen Hamburg und Dover und trat mit grau-grünem Gesicht aus einer Toilette, als ich dort zufällig vorbeikam. „Bei jeder Überfahrt seekrank“, klagte er. Er würde gern zurück an die Theiß. „Die Fähre fährt wieder“, berichtete er, „als Privatbetrieb. Leider müssen jetzt alle den vollen Preis bezahlen. Es gibt eine Zählschranke.“  

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de.