Unser Autor

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

                                     Volkssport Selbstmord

Vorbemerkung:
Ungarn führt in Europa in dieser dramatischen Disziplin. Nach der letzten Zählung 2012 waren es 25 von 100.000 Ungarn, die sich das Leben nahmen. Im Vergleich Österreich: 15 Selbsttötungen auf 100.000.

Kapitel 1. Hat er sich schon wieder erhängt? Oder der Selbstmord als Witz
Der ungarische Architekt Imre Makovecz und seine organische Bauweise wurden durch einen Artikel in der Hamburger Zeitschrift ART 1980 auf einen Schlag weltberühmt. Die Italienische Fachpresse lobte besonders seine Kirche in Paks, an der Donau, denn sie hat nicht nur eine Kuppel sondern zwei geradezu weiblich anmutende Rundungen. So wurde sie als das „Gotteshaus mit dem schönsten Hinterteil“ gefeiert.
Aus Anlass seines Erfolgs lud der Meister zum Abendmahl in sein Wochenendhaus ein. Es stand in einem Wäldchen nördlich von Budapest. Auch ich war dabei. Nach dem vielen Essen, Trinken und Singen ging der Hausherr hinaus, in den bereits dunklen Garten. Zum Luftschnappen, dachte ich. Doch er kam nicht wieder. Nach einiger Zeit wurde ich unruhig, ging ihm nach und sah entsetzt den weiß gekleideten Mann unter dem dicken Ast einer Eiche baumeln. Ich war wie versteinert. Da ging die Tür hinter mir auf, das Licht fiel auf ihn, er hörte auf zu schwanken, grinste, und ich hörte eine Frauenstimme aus dem Haus: „Hat er sich schon wieder erhängt?“ Dann strömten die Gäste lachend heraus. Nur die Frauen schimpften, und ich hatte immer noch weiche Knie. Immerhin, es gab einen ordentlichen italienischen Magenbitter im Haus.

   
Kapitel 2. Das Lied zum gefälligen Selbstmord     
Der Pianist Rezsö Seress spielte in den 1930er Jahren in verschiedenen Restaurants des jüdischen Viertel der Budapester Innenstadt. Er komponierte unzählige Melodien und schrieb traurige Texte über Sehnsucht, Liebe und Leid. So vertonte er auch das Poem über einen einsamen Traurigen Sonntag des Dichters László Jávor. Es wurde ein geradezu tod-trauriges Lied, und das mitten der Weltwirtschaftskrise.
Doch dem Direktor des Pariser Olympia, der 1935 Budapest besuchte, gefiel es ganz besonders. Er kaufte die Noten, und bald sang eine Sängerin seines Varietés die morbide Ballade (natürlich auf Französisch), begleitet vom hauseigenen Orchester. Seress wurde als Komponist der „Selbstmörder-Hymne“ weltbekannt; sein Lied war in ganz Europa bis nach St. Petersburg zu hören, in den USA sangen Gloomy Sunday Ray Charles, Louis Armstrong und Frank Sinatra unter vielen anderen. Die New York Times schrieb, dass die Budapester, gleich nach einem ersten Hören, scharenweise in die Donau sprangen – was nicht ganz stimmte.
Tatsache war: Die Menschen hörten das Lied in den Kneipen und Restaurants, spielten es daheim auf dem Klavier (Schallplatten und Plarrenspieler konnten sich die meisten nicht leisten), und vielen setzte die schwermütige Weise so zu, dass sie sich das Leben nahmen.
Wie der Komponist. Im Januar 1968 sprang Seress vom Balkon seiner Budapester Wohnung im siebten Stock. Er starb erst im Krankenhaus.

Kapital 3. Die Ratschläge für werdende Selbstmörder
Selbstverständlich wird in Ungarn viel über Selbstmord geredet. Vor wenigen Tagen erst hörte ich in einem Restaurant einer Tischgesellschaft – zwangsläufig – zu. Es gab viele, oft exotische, Ratschläge, bis schließlich ein alter, in Ungarn bekannter Dichter sagte: „Ich glaube nur einem Selbstmörder, der seine Methode erfolgreich verwirklicht hat.“  

Nachwort. Orbán wieder
Nachdem er die weltweit angesehene Central European University aus Budapest vertrieb, will er die Grundlagenforschung begrenzen. Ein Staatssekretär soll zukünftig darüber entscheiden, über was geforscht werden soll und über was nicht, und für das Richtige das nötige Geld bereitstellen.
Zum Flüchten? Oder sich lieber gleich umbringen?  Foto: privat