Nachrichten aus einem kleinen Land

Unser Autor

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

                                
                                                  

                  Das letzte aus der Anstalt im Jahr 2019

                                                           & Die lustigsten Streiche

Nicht am frühen Morgen verunglücken! Budapest gegen sechs Uhr: Der erste Rettungswagen wird gerufen. Laut Gesetz muss er mit allen Geräten und einem Arzt sogleich losbrausen. Tut er auch. Rund drei Minuten später folgt der nächste, und gegen neun Uhr gibt es im Rettungszentrum keine Retter mehr. Man kann dabei auch Glück haben. Wenn sich bei der Ankunft eines Rettungsarztes etwa herausstellt, dass der Verunglückte nur seinen Fuß verstaucht hat, steht der Wagen wahrscheinlich bald wieder zur Verfügung.
In weniger lustigen Ländern als Ungarn gibt es einen automatischen Anrufbeantworter, der bei einem verstauchten Fuß erstmal einige Ratschläge gibt, bevor ein Wagen losfährt – aber ein derartiges System gibt es in Budapest bzw. ganz Ungarn nicht. Dafür gibt es andere, wichtige, ja typische Symbole eines autokratisch regierten Landes: 16 Fußballstadien, die über 10.000 Zuschauern Platz bieten – und 33 etwas kleinere.

Bloß nicht krank werden! In den OPs der staatlichen Krankenhäuser fehlen Gerätschaften. Ärzte und Schwestern werden miserabel bezahlt. Sie flüchten. Die Ärzte arbeiten lieber in Deutschland, Schwestern und Pfleger lieber in Österreich.
Die neueste Idee des Ministerpräsidenten: Wer mit seinem Beitrag zur Staatlichen Krankenversicherung über drei Monate im Verzug bleibt, verliert dieselbe. Ihm bleiben dann nur noch die – etwas teureren – Privatkliniken. Wer also als Arbeiter oder Angestellter beschäftigt ist, sollte sich regelmäßig bei seinem Arbeitgeber erkundigen, ob der den Beitrag für ihn bezahlt hat oder nicht. Darüber hinaus gibt es noch besonders viele Arme, die umgerechnet 105 Euro im Monat nicht regelmäßig aufbringen können.
Insgesamt dürfte Orbans neue Idee ca. 700.000 Menschen betreffen. Sie alle könnten bald ohne Kranken-Versicherungs-Schutz sein. Das Gesetz wurde Anfang Dezember bereits mit der Regierungsmehrheit im Parlament verabschiedet. Die Ärzte und ihre Gewerkschaft protestieren zwar und baten den Staatspräsidenten, das Papier nicht zu unterschreiben. Doch leider tut er meist das, was sein Chef von ihm verlangt.     

Nur nicht arm sein oder werden! Wer die Miete nicht zahlen kann, wird nach drei Monaten obdachlos. Selbst eine Mutter mit neun Kindern. Immerhin, die Mitmenschen sind auch in solchen Fällen hilfsbereit: Ein Spendenaufruf brachte aus dem ganzen Land zusammen. Die anderen freilich, die nicht rufen, werden obdachlos – was allerdings verboten ist. Irrenhaus? Oder? Denn: Wer einige Millionen aufbringen kann, bekommt dazu noch großzügig einen preiswerten Baukredit.

Nicht als Roma auf die ungarische Welt kommen! Männer und Frauen werden ausgegrenzt, Schulkinder kommen in getrennte, überfüllte Roma-Klassen. Mit 16 Jahren sind sie dann frei für die Hilfsarbeiter-Ausbildung.
Dass es aber auch anders geht, erfuhr jetzt die Roma-Pflegerin Edina Stojka. Sie betreute im Hospiz der südost-ungarischen Kleinstadt Gyula 15 Jahre lang aufopferungsvoll Sterbende. Während ihres Pflegerinnen-Studiums hatte sie allerdings selbst die niedrigsten, schlecht bezahlten Arbeiten annehmen müssen. Nun erhielt sie die erste Anerkennung: Im April 2019 wurde sie mit dem „Goldenen Band“ des Ungarischen Roma-Verbands ausgezeichnet.             

Nicht in Ungarn studieren? Offenbar. Die Budapester Central European University, kurz CEU, war eine international renommierte Lehranstalt, die ihren Absolventen neben den ungarischen auch US-Diplome aushändigte. Weil ihr Gründer Georg Soros, US-Amerikanischer Philanthrop und Investor ungarischer Herkunft, mit seinem Vermögen aber weltweit Bildungseinrichtungen, Bürgerrechtsorganisationen und politische Aktivisten unterstützt, zog er sich Orbans Feindschaft zu. Der Dekan der CEU wurde schikaniert, die Arbeit des Instituts so erschwert, dass es flüchtete. In Wien wurde es mit Handkuss aufgenommen.

Die beste Nachricht zum Schluss: Die Mitglieder der „Orbán-Familie“ bekommen so gut wie alle EU-geförderten Bau- und anderen Aufträge. So auch die große, über 80 Jahre alte Patronin der Sippe. Sie durfte kürzlich eine Farm mit ca. 800 (echten) Schweinen kaufen. Und Orbáns bester Freund hat es auf die kürzlich aktualisierten Liste der reichsten Menschen der Erde  geschafft – wenn auch noch ziemlich weit hinten. Aber das kann ja noch werden.  Fotos: privat/wikipedia