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Menschlicher Wille kann alles versetzen: Dieses Haus stand früher in einem anderen Land“. Wie wahr, denn wir sind in Ostberlin, und hier war früher DDR. Den Spruch ließ der Werber Jean-Remy von Matt zum 20. Jubiläum des Mauerfalls 2009 riesengroß an einem Haus in der Berliner Brunnenstraße anbringen.
Es ist gut, wenn man mal wieder darauf gestoßen wird, dass es vor nunmehr 25 Jahren hier ganz anders aussah. Heute gibt es zum Beispiel auf der anderen Straßenseite eine Buchhandlung, die sich von vielen anderen unterscheidet. „Ocelot, not just another bookstore“ hat reichlich Platz und gemütliche Leseecken, ein kenntnisreiches Programm, ein kleines Cafe, nettes, kompetentes Personal und einen Onlineshop, der in ein bis drei Tagen liefert.
An der Ecke Brunnen- und Torstraße, am Rosenthaler Platz, sollte man im St. Oberholz mal einen Kaffee trinken. In diesen Räumen residierte ab 1898 das legendäre Aschinger, in dem ganz Berlin preiswert und einfach aß und trank, Erbsensuppe mit Wurst etwa. Alfred Döblin hat dem Aschinger in seinem Roman „Berlin Alexanderplatz“ ein Denkmal gesetzt. Heute isst man hier Ökotoasts und Bagels und hat freien Internetzugang. Falls Sie dort etwas vergessen sollten, lesen Sie unbedingt die Website vom St. Oberholz.

Unter der Rubrik „Fundbüro“ finden Sie Ihre „Quittung über 40 Euro“ (Schwarzfahrer) oder Ihren „Schwangerschaftstest“ (nicht schwanger!) schnell wieder.
Über die Torstraße schrieb das Szeneblatt „Tip-Berlin“: „Sie ist laut, sie ist hässlich, aber absolut in.“ Stimmt. Heimeliges Bummeln ist hier nicht, aber Spannendes auf Schritt und Tritt. Zum Beispiel das „Hotel Mani“ (Torstraße 136) mit schicken (Doppel-) Zimmern ab 73 Euro und elegantem Restaurant mit französisch-israelischer Küche.
Schräg gegenüber kann man auch Französisch essen, im „Bandol Sur Mer“ (Torstraße 167) gibt es vor kreideverschmierten Schultafeln Rotbarbe oder Makrele, Artischockenpüree und Käse mit Birnenchutney. Brad Pitt und Angelina Jolie wurden hier auch schon gesichtet.
Ein Haus weiter können Sie ausgezeichnet italienisch speisen: bei „Petrocelli“ (Torstraße 169) mit der großen Terrasse im tosenden Verkehr steht La Famiglia noch selbst in den mittlerweile drei Filialen.
Auf dem Weg dahin guckt man gern mal bei Sabrina Dehoff (Torstraße 175) wenigstens ins Schaufenster. Aber vielleicht ist der Liebste ja auch in Spendierlaune? Die Ketten, Armreifen, Ohrringe und Ringe lassen Mädchen-Herzen höher schlagen. Sogar die von älteren Mädchen.
Auf dem Weg zurück empfehlen wir einen Abstecher in die Gartenstraße 6 zu „Supergrau“. Das junge Label aus Solingen bietet seit 2010 Möbel, Leuchten und Accessoires an – alle in Deutschland produziert (siehe auch oben unter „Neue Produkte“). „Love15“, ein Tennis-Schiedsrichter-Sitz von 180 cm Höhe fürs heimische Wohnzimmer, muss unbedingt mal besessen werden.
Drei Häuser weiter, in der Gartenstraße 9, serviert man im „Alpenstueck“ Apfelstrudel und Obatzda, Saubohnen und Quittensuppe, Wiener Schnitzel und Ochsenbacke, eben alles aus Süddeutschland und Österreich, was dem Berliner bisher fremd war. Das Restaurant ist todschick eingerichtet, nebenan gibt’s ein dazu gehörendes Café und eine Bäckerei, wo auch alles handgemacht und superfrisch ist.
Das Gebiet hier soll übrigens bei Insidern „NoTo“ genannt werden – North of Torstraße. Irgendwie affig.



Sie möchten jetzt nichts essen? Okay, dann schauen Sie doch einfach mal bei Muschi Obermaier vorbei, in der Torstraße 151. Ab 20 Uhr gibt’s in der urigen 60er-Jahre-Kneipe ein Glas Wein schon ab 3,50 Euro.

Von 1949 bis 1994 hieß die Torstraße übrigens Wilhelm-Pieck-Straße nach dem langjährigen Präsidenten der DDR. Heute kauft man dort im „Groben Unfug“ lästerliche Comics (Torstraße 75) oder Vintage-Möbel des 20. Jahrhunderts aus Dänemark bei „Stue“.
Oder man besucht zwischen 11 und 18 Uhr das skurrile Museum „Designpanoptikum“ (Torstraße 201) für industrielle Objekte und staunt über eiserne Lungen und Zahnarztstühle, Druckerpressen und Taucherhelme, die der Russe Vlad Korneev, eigentlich Fotograf, hier zusammen getragen hat. Für Filmausstatter ein Paradies!



Aber durch die Ackerstraße muss man einfach mal schlendern. Vorbei an kleinen Boutiquen und witzigen Kneipen, einem vollgestopften Antiquariat und einem Bio-Feinkosthändler, vorbei an neunzehn unter Denkmalschutz stehenden Häusern und den restaurierten Ackerhöfen (Nr.14/15). Einst fuhr hier die „Neue Berliner Pferdebahn“ zum Alexanderplatz, und an der Ecke Invalidenstraße steht noch heute eine perfekt restaurierte Markthalle von 1888, die Ackerhalle mit Metallstruktur und seitlichen Oberlichtern und gusseisernen Säulen. Inzwischen residiert Rewe in dieser historischen Kulisse und hat auch samstags bis 23 Uhr geöffnet. Gut zu wissen, falls man nach dem letzten Absacker noch ein Fläschchen mit nach Hause nehmen möchte.
Fotos: CO/St. Oberholz/Alpenstueck/Berlin.de