Kunst: Glanzvoller Umbruch

Wer die italienische Kunst liebt, ist sicher schon in der Alten Pinakothek in München gewesen. Derzeit widmet sich das Haus der Kunst Venedigs in der Renaissance. Damals, vor 500 Jahren, erlebte die Lagunenstadt mit Künstlern wie Bellini, Giorgione oder Tintoretto und Tizian eine unnachahmliche Perfektion der figürlichen Malerei. Vor allem Werke von Tizian faszinieren uns bis heute und beeinflussten Maler und Malerinnen bis in die europäische Moderne.
Die reiche Handelsstadt Venedig war allerdings schon seinerzeit ein Zentrum der Innovation. Die Malkunst florierte, und die großen Meister begannen, sich intensiv mit dem Wesen von Mensch und Natur zu beschäftigen. So spiegelten Porträts das zeitgenössische Selbstverständnis der Menschen, und Landschaften ließen einen Traum von Arkadien erahnen. 
Anschaulich vermittelt der Bildband dazu in verständlich gehaltenen Aufsätzen kunsthistorische Hintergründe, und wer mag, kann gleich neueste Forschungsergebnisse nachlesen.
Die umfangreich bebilderte Publikation zur Münchner Schau (bis zum 4.2.2024) ist zwar nicht so opulent geraten wie wir das eigentlich von Bänden zur italienischen Kunst kennen, sondern erscheint diesmal nur als Klappbroschur – schwelgen lässt sich darin aber dennoch. UvS.

Andreas Schumacher:Venezia 500– Die sanfte Revolution der venezianischen Malerei, 256 S., 166 Abb., Hirmer, 39,90 Euro.

 Kunst: Zauber des Nordens
 

Die ziemlich plakative Zeile „Zauber des Nordens“ hätte man sich eigentlich sparen können – ein so großartiger Künstler wie Edvard Munch braucht solch eine PR-Floskel nicht, auch wenn sie auf Stefan Zweig zurückgeht. Jüngster Beweis: die Ausstellung in der Berlinischen Galerie (noch bis zum 24.1.2024), zu der dieser schöne, informative Katalog (mit dem überflüssigen Untertitel) erschienen ist. Sie zeigt einen Maler, der mit seinen expressiven Bildern am Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der Wegbereiter der Moderne wurde. Zwar stießen seine oft roh und unfertig wirkenden Arbeiten im damals eher spießigen Berlin etwa anfangs auf empörte Ablehnung, doch bald schon hatte er gerade in der Reichshauptstadt, in der er zwischen 1892 und 1908 immer wieder länger lebte, viele Anhänger. Vor allem seine furiosen Psychodramen mit einsamen, verzweifelten und gequälten Menschen machten ihn bekannt. In Berlin sind jetzt rund 80 Werke, darunter auch Druckgrafik und Fotografien, zu sehen; ergänzt werden Ausstellung und Katalog durch Arbeiten anderer nordischer Künstler jener Zeit. PM

Edvard Munch: Zauber des Nordens. 304 S., 246 Abb. Hirmer. 49,90 Euro 


Kunst: Der Weltbürger

n der Schirn in Frankfurt ist noch bis zum 18. Februar eine große  Retrospektive des „Weltbürgers“ (Selbstaussage) Lyonel Feininger zu sehen. Der dazu erschienene Katalog stellt den Künstler (1871 – 1956) detailliert in all seinen Schaffensphasen dar – als Karikaturist, Maler und Bauhaus-Lehrer, als Fotograf und als Musiker. Seine politischen und gesellschaftlichen Karikaturen erschienen in deutschen und amerikanischen Zeitschriften. Als Meister am Bauhaus in Weimar widmete er sich dem Holzschnitt und schuf 1919 mit der „Kathedrale“ das Titelblatt für das Manifest des Bauhauses – und zugleich ein Paradebeispiel für seine „kristallinen Architekturen“, die er in vielen Gemälden darstellte.  Eher prosaisch sind die Alltagsszenen, die er mit dem Fotoapparat festhielt.
Ergänzt wir der opulente Band mit einer kurz gefassten Biografie. 

Ingrid Pfeiffer: Lyonel Feininger– Retrospektive, 272 S., 230 Abb. Hirmer, 49,90 Euro. 

 


 

Fotografie: Schwarzweißes Statement

Gerade mal 19 war Thomas Hoepker, als er 1956 seine Kamera nahm (eine Leica, versteht sich) und das erste Mal nach Italien fuhr: der Beginn einer Fotografenkarriere, die ihn zum Mitglied der berühmten Fotoagentur Magnum und zu einem der Großen der mittlerweile legendären STERN-Fotografie der 60er bis 90er Jahre machte. Und dass er es weit bringen würde, zeigen schon die jetzt erstmals in Buchform veröffentlichten Aufnahmen aus Italien, die der kleine rührige Verlag Buchkunst Berlin aus rund 10000 Negativen ausgewählt hat. Von Unbeholfenheit ist auf den Schwarzweiß-Fotos keine Spur: Mit einer fast schon unheimlich anmutenden Sicherheit drückt Hoepker auf den Auslöser, um den einen richtigen Moment zu erwischen. Monumente und andere Touristenattraktionen interessieren ihn nicht, er beobachtet lieber die Menschen in ihrem Alltagsleben. Dass es keine Unterschriften gibt, ist da nur folgerichtig: Wenn jemand so genau und teilnahmsvoll hinschaut wie Hoepker, sprechen die Bilder für sich selbst. PM

Thomas Hoepker: Italia. 200 S., 124 Fotos. Buchkunst Berlin. 45 Euro


Fotografie: Menschen, Tiere, Sensationen

Er porträtiert Tiere genauso wie Menschen, meist schaut er ihnen direkt ins Gesicht. Der Hamburger Fotograf Walter Schels ist schon lange für seine einfühlsamen Porträts bekannt. Für dieses Buch hat er sich mit der Journalistin Sabine Schwabenthan zusammengetan, die kenntnisreiche Texte zum Wesen der hier versammelten 29 Tiere – unter anderen Hühner und Bären, Esel und Löwen – geschrieben hat. So erfahren wir, dass der Wanderfalke mit 290 Stundenkilometern im Sturzflug der schnellste Greifvogel ist. Oder dass im Altertum die Griechen ihr Frühlingsfest zusammen mit Ferkeln feierten, was uns den Ausdruck „Schwein gehabt“ hinterlassen hat. Und dass Störche gern auf Kirchtürmen nisten hat vor allem mit der mangelhaften Flugtechnik der Vögel zu tun.
Kurz: In den launigen Texten ist viel Unbekanntes, Amüsantes, Anrührendes über Hund, Katze und Co. nachzulesen.

Sabine Shwabenthan, Walter Schels: Die Seele der Tiere – Gesichter, Gefühle, Geschichten, Verlag Bassermann, 19,99 Euro.
 


 

Sachbücher: Affären mit Niveau

Ist es ein Wunder, dass es in der „Stadt der Liebe“ auch immer reichlich Prominenz gab, die sich zueinander hingezogen fühlte? Natürlich nicht, und so begab sich die Kulturreporterin Andrea Reidt in Paris auf die „Spuren berühmter Paare“ (so der Untertitel ihres Buches) – und brachte eine stattliche Ernte ein. In neun Kapiteln schildert sie die stürmische Affäre von Film-Diva Marlene Dietrich und ihrem Co-Star Jean Gabin ebenso faktenreich und anekdotengesättigt wie die kurze leidenschaftliche Liaison des Künstler Max Ernsts mit seiner eigenwilligen Kollegin Meret Oppenheim oder die Jahrzehnte überdauernde Romanze zwischen dem amerikanischen Jazz-Trompeter Miles Davis und Frankreichs Existenzialisten-Muse Juliette Greco. Ein buntes Panoptikum ist so entstanden (samt Literaturverzeichnis und einem etwas kargen Adressverzeichnis mit den Hauptschauplätzen der diversen Amouren), das im Wesentlichen bestätigt, was unsereins schon immer vermutete: Unterm Eiffelturm und an der Seine lebt und liebt es sich einfach intensiver. PM

Andrea Reidt: Pariser Amouren. 143 S. Ebersbach & Simon. 20 Euro
 


Sachbücher: Die Geheimnisse einer Kartoffel

Wie lustig!  Auch wenn Sie sich nicht für Mode interessieren und Ihnen Karl Lagerfeld eigentlich schnurz war, ist dieses Büchlein ein Genuss. Die französische Illustratorin Tiffany Cooper, die lange Zeit mit Lagerfeld gearbeitet hat, macht sich in ihrer gezeichneten Biografie über den Modemacher lustig, stellt seine Macken dar, berichtet über seine merkwürdige Kindheit, über seine große Liebe zur Katze Choupette, plaudert seine Geheimnisse aus und tut das alles in liebevollen, fröhlichen Zeichnungen.
Lagerfeld soll begeistert gewesen sein, denn er sagte über sich selbst: „Ich liebe die Vorstellung, dass die Leute denken, ich sei boshaft. Ich finde, ich bin eine brave Kartoffel.“

Tiffany Cooper: Wirklich alles über Karl Lagerfeld. Die Comic-Biografie, 144 S., Midas Verlag. 20 Euro

   


 

Sachbücher: Bücherfreunde

Wissen Sie, wie ein Buch entsteht? Sicher, jedem ist klar, es braucht einen Autor, einen Verlag, einen Drucker und einen Buchhändler, damit man eine Neuerscheinung kaufen kann. Aber so ganz genau weiß kaum einer, wer noch alles beteiligt ist und welche einzelnen Schritte vom ersten Wort bis zum fertigen Buch getan werden müssen. 
Das Buch der Autorin Stéphanie Vernet und der Illustratorin Camille de Cussac wendet sich an Leser ab 8 Jahren und erklärt in vielen kurzen Texten auf sehr schön gestalteten, farbenfrohen Seiten mit genauen Zeichnungen jeden einzelnen Schritt. 
So erfährt man, dass Übersetzer das Urheberrecht an ihrem Text haben, genau wie der Autor an seinem Ursprungstext. Und man lernt, dass die linken Seiten im Buch immer gerade Seitenzahlen haben, und dass ein Buch zum Bestseller wird, wenn mindestens 100 000 Exemplare verkauft wurden. Die Seitenzahl eines fertigen Buches ist immer durch vier teilbar, weil auf einen Druckbogen 4,8,16 oder 32 Seiten passen. Und nicht zuletzt wird hier von Fan-Fiction berichtet, von Texten also, zu denen sich Leser durch ein Buch anregen lassen.
Falls Sie das alles noch nicht gewußt haben, dann sind die „Büchermenschen“ eine tolle Lektüre für Sie!

Stéphanie Vernet, Camille de Cussac:Büchermenschen– Wie ein Buch entsteht, Prestel, 24 Euro.


Hörbuch: Jahrestage

Man braucht schon Zeit für dieses Hörerlebnis, denn die über 1700 Seiten des vierbändigen Romans „Jahrestage“ von Uwe Johnson wurden auf  acht CDs eingelesen von der Journalistin Caren Miosga und dem Schauspieler Charlie Hübner, und das dauert 73 Stunden und 53 Minuten. Also, falls Sie die vier Bände über Gesine Cresspahl, die im New York des Jahres 1968 ihrer Tochter von ihrem Leben in Mecklenburg Vorpommern erzählt, noch nicht kennen, dann sind diese CDs genau das Richtige für lange Winterabende bei Kerzenschein und Rotwein!

Uwe Johnson: Jahrestage– aus dem Leben von Gesine Cresspahl. Ungekürzte Lesung von Charly Hübner und Caren Miosga, Audio Verlag, 60 Euro.

Wir danken dem Audio Verlag dafür, dass wir zwei Kassetten verschenken können. Also seien Sie schnell und melden Sie sich per mail an: christiane@oster-meyer.de Die ersten zwei Einsender bekommen die Jahrestage zugesandt

 
Fotos: Hirmer/Buchkunst Berlin/Ebersbach & Simon/Midas/Prestel/Bassermann/ AudioVerlag