Verrückte LIebe

Warum eigentlich hat dieser Katalog zu einer aktuellen Ausstellung im Frankfurter Städel einen englischen Titel, erzählt er doch, laut Untertitel, die „Geschichte einer deutschen Liebe“? Und die war – die Autoren schildern sie mit eindrucksvoller Detailfreude – durchaus leidenschaftlich. Nach eher stockendem Beginn entdeckten die Deutschen rasch ihr Herz für den (vermeintlich) verrückten Mal-Revoluzzer Vincent van Gogh, der von dem einflußreichen Kunstkritiker Julius Meier-Graefe zum „Christus der modernen Kunst“ ernannt und von etlichen Galeristen geschickt vermarktet wurde. 1914 besaßen Sammler und Museen im Deutschen Reich bereits rund 150 Gemälde des genialen Niederländers, zahlreiche deutsche Expressionisten nahmen sich den furiosen Pinselstrich und die kräftigen Farben van Goghs zum Vorbild. 120 seiner Gemälde und Zeichnungen sind jetzt in Frankfurt zu sehen, dazu kommen rund 100 Bilder seiner
deutschen Kollegen.
Kein Wunder, dass soviel Wertschätzung auch Kriminelle auf den Plan rief. Der vormalige Ausdruckstänzer Otto Wacker musste sich 1932 vor Gericht verantworten, weil er 30 falsche van Gogh-Bilder in Umlauf gebracht hatte, deren Echtheit unter anderen auch Meier-Graefe bestätigt hatte. Das Autorenpaar Nora und Stefan Koldehoff hat diesen veritablen und reich bebilderten Kunst-Krimi recherchiert, dessen Wendungen es selbst mit gut erfundenen Plots mühelos aufnehmen können. PM

Making van Gogh. 352 S., 260 Abb. Hirmer. 39,90 Euro

Nora und Stefan Koldehoff: Der van Gogh-Coup. 216 S. 210 Abb. Nimbus. 29,80 Euro
Fotos: Hirmer/Nimbus


Große Gefühle

Liebe war schon in der frühen Neuzeit ein Problem, überschreibt Victoria von Flemming ihren Aufsatz zum Kapitel AMORE. Der Katalog ist zu einer grandiosen Schau erschienen, die zwei Großmeister des italienischen Barock und einige ihrer Weggenossen zusammenführt.
Caravaggio (1571 bis 1610) zählte zu den bevorzugten Malern der Kardinäle im Vatikan. Sein Leben war so turbulent wie die Motive seiner Werke. Nach einem Totschlag wurde er aus der Stadt verbannt und floh nach Neapel, wo er mit nur 38 Jahren starb. Der  Bildhauer Bernini (1598 bis 1680), dessen Werke den Platz vor dem Petersdom in Rom prägen, wird bis heute als Meister der dynamischen Bewegung bewundert.
Selten zuvor haben Lust und Leid, Liebesglück und Rachsucht, Schuld und Sühne so drastisch von den Ateliers der Künstler Besitz ergriffen wie in der Barockzeit. Folgerichtig unterteilt der Katalog die Werke auch nach Kapiteln, die den menschlichen Emotionen gewidmet sind, wodurch ein spannender Parcours mit wunderbar gedruckten Abbildungen entsteht, begleitet von höchst lesbaren Aufsätzen.
Am besten verschenken Sie zum Katalog gleich eine Eintrittskarte (mit Zeitfenster!) zur Ausstellung. Bis 19.01.2020 ist sie noch in im Kunsthistorischen Museum Wien zu sehen. Dann wandert sie ins Rijksmuseum Amsterdam (14.02.bis 07.06.). UvS

Caravaggio – Bernini. Prestel Verlag. 328 S., 265 farbige Abb., 45 Euro Foto: Prestel

 

Mehr als Frau Pollock

Bis heute ist sie (zumindest bei uns) so gut wie unbekannt – und dabei hat es Lee Krasner durchaus verdient, entdeckt zu werden. Doch weil die 1908 in Brooklyn geborene Malerin immer im Schatten ihres weitaus berühmteren Kollegen und Ehemanns Jackson Pollock blieb, hat sie erst jetzt, in der Frankfurter Schirn, die erste repräsentative Retrospektive in Deutschland bekommen, zu der dieser sehr informative Katalog erschienen ist. Zu bewundern gibt es knapp 100 Werke, in denen die 1984 gestorbene Künstlerin nach figurativen Anfängen über kubistisch anmutende Arbeiten zu einer der Pionierinnen des Abstrakten Expressionismus wurde. Auf einen Stil festlegen ließ sie sich nie, denn dafür war sie, wie sie einmal ironisch feststellte, „eine verdammt gute Malerin, danke auch, und etwas zu eigenständig“. PM

Lee Krasner. 240 S., 250 Abb. Hirmer. 45 Euro Foto: Hirmer

 

Klick!

Begonnen hat sie vor genau 60 Jahren als Laborantin – und dann wurde sie zu der bedeutendsten Foto-Chronistin der Bundesrepublik. In Abertausenden von Aufnahmen, vor allem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, hat Barbara Klemm die politische Geschichte des Landes dokumentiert, und so unbeirrt sie dabei am ebenso unterkühlten wie präzisen Schwarzweiß festhielt, so diskret und zugleich genau war stets ihr Blick. Zu ihrem 80. Geburtstag ist nun ein schöner dicker Band erschienen, der mit über 200 Bildern ein (zugegeben unvollständiges) Resümee ihres großen Lebenswerks gibt, zu dem auch viele Aufnahmen von Reisen rund um den Globus und Besuchen in Museen und Ateliers gehören. Dass sie mit ihrer Arbeit eine höchst vielfältige Tradition fortsetzt, belegt ein anderes gerade zu einer Ausstellung in Bonn erschienenes Buch über die
Fotografie in der Weimarer Republik. Da hatte das Metier seine Kinderjahre gerade hinter sich und begann (nicht zuletzt, weil die Kameras kleiner und leichter wurden) die Welt samt ihrer Rückseite zu entdecken. Ein spannendes Unterfangen – und dank solch stilbildender Pioniere wie Alfred Eisenstaedt, Martin Munkancsi oder Erich Salomon ein sehr gelungenes. PM

Barbara Klemm: Zeiten Bilder. 287 S. 136 Duotone-Tafeln. Schirmer/Mosel. 49.80 Euro

Fotografie in der Weimarer Republik. 264 S., 268 Abb. Hirmer. 39.90 Euro
Fotos: Schirmer/Mosel,Hirmer

 

Herrn Zwirners Gespür für Kunst

Selbst die Amerikaner waren beeindruckt. „Ein Bieter“, notierte die New York Times 1970 bei einer Kunstauktion, „zog mehr Aufmerksamkeit auf sich als irgendjemand sonst in der überfüllten Halle. Es war Rudolf Zwirner, ein 37jähriger, blonder, deutscher Händler aus Köln, der erstaunliche zwei Meter misst. Außerdem ging er am Ende mit zwei höchstpreisigen Stücken davon.“
Damals zählte Zwirner, dem die erste documenta 1955 „die Augen für die Moderne geöffnet“ hatte und der bei  der zweiten Kasseler Schau als Generalsekretär mitmachte, bereits zu den erfolgreichsten Galeristen des Rheinlands. 1967 hatte er die erste aller Kunstmessen erfunden, den „Kölner Kunstmarkt“ mit gerade mal 18 Ausstellern in der Festhalle Gürzenich, der seit 1984 „art cologne“ heißt. Zwirner brachte die Pop-Art-Künstler nach Deutschland, noch bevor sie in den USA anerkannt waren, und er war es auch, der in der Sammler-Metropole Köln den Schokolade-Fabrikanten Peter Ludwig beim Aufbau seiner grandiosen Sammlung beriet, die wir heute im Museum Ludwig am Kölner Dom bewundern. Er machte die Stadt zum Kunstmittelpunkt der Republik – bis der Mauerfall die Szene nach Berlin katapultierte.
Nun hat der inzwischen 86-Jährige, der mit einem unfaßbar sicheren Gespür für die Strömungen der Zeit und unternehmerischem Mut bis heute rund 300 Ausstellungen organisierte und dabei Ikonen der Avantgarde wie Andy Warhol, Gerhard Richter oder Georg Baselitz zeigte, seine Memoiren veröffentlicht: Eine überaus kurzweilige Muss-Lektüre für alle, die wissen möchten, wie sich die Galeristenszene von den Hinterhofläden der 50er Jahre bis zu den musealen Galerie-Lofts von heute entwickelt hat. Besonders aber auch für jene, die selbst dabei gewesen sind. UvS

Rudolf Zwirner: Ich wollte immer Gegenwart. Autobiografie. Aufgeschrieben von Nicola Kuhn. Wienand Verlag. 256 S., 72 Abb., 25 Euro. Foto: Wienand Verlag

 

Noch Fragen?

Nach der Lektüre dieser schmucken Büchlein eigentlich nicht mehr. Auf je 100 Fragen zu Champagner und Wein, zu Käse und Fisch gibt Rainer Wörtmann, Journalist und Art Director, 100 Antworten. Illustriert sind die hübsch gestalteten Bände mit feinen Schwarzweiß-Zeichnungen; die informativen Texte sind verständlich geschrieben und machen viel Spaß. Ein Beispiel gefällig? Bitte sehr: Auf die Frage, ob Fische sprachlos sind, antwortet Wörtmann mit „Sprechen wie wir Menschen tun sie nicht, aber sie quietschen, grunzen und klappern.“ Wer hätte das gedacht! CO

Rainer Wörtmann: Käse – 100 Fragen und 100 Antworten, 50 S., Selbst Verlag, 7,50 Euro (weitere Titel zu Wein, Champagner, Fisch) Foto: Wörtmann

 

 

Selfies

Heute ist er ein Alltagsgegenstand, dem wenig Beachtung geschenkt wird. Seine Faszination ist meist nur noch bei Kindern zu sehen, die sich in ihm das erste Mal selbst entdecken – und dabei hat der Spiegel eine ebenso lange wie eindrucksvolle Geschichte hinter sich.
Das älteste Exemplar, das Archäologen als Grabbeigabe im türkischen Anatolien fanden, ist aus schwarzem Vulkangestein und etwa 7000 Jahre alt. Im Katalog zu einer gerade zu Ende gegangenen Ausstellung in Zürich erzählt der Herausgeber mit Beispielen aus China und Afrika, dem alten Ägypten und Persien, wie es weiterging, er beleuchtet den Weg der Menschen vom Selbsterkennen bis zur Selbsterkenntnis und erzählt von Schönheit und Eitelkeit in Gemälden, Fotos, Filmen und nicht zuletzt den heute allgegenwärtigen Selfies. CO

Albert Lutz: Spiegel – Der Mensch im Widerschein. 336 S. Wienand. 45 Euro Foto: Wienand Verlag

 

 

Deutsche Küchenseele

Wir sind das Land der Sättigungsbeilagen, der Knödel, der Spätzle und des Kartoffelbreis.
Wer also etwas über unsere Seele erfahren möchte, der fange bei der gelbfleischigen Alexandra  an und arbeite sich vor bis zur tiefgelben Venezia, sagte sich jedenfalls der Fernsehjournalist und Sachbuch-Autor Wolfgang Herles und begann, die deutschen Ess- und Kochgewohnheiten zu analysieren. In seinem vergnüglichen Buch „Vorwiegend festkochend“ beschäftigt er sich ausgiebig mit unserer Heimat als Bananenrepublik – wir essen jeder etwa achtzig Bananen im Jahr -, mit den dekadenten Auswüchsen unserer Currywurst-Liebe – als Schickimickivariante mit Blattgold zu haben -, mit der ausufernden Gaststättenverordnung, die Wirte zu Verzweiflung treibt, und mit dem Käseigel, der Ausdruck unseres eher dekorativen Verhältnisses zum Käse ist.
Der Autor macht weder vor der Weißwurst, dem Thermomix, der Maultasche und der Vegetarier halt, noch vor Fernsehköchen, Goldbroilern und der abschließenden Milchmädchenrechnung.
Ein riesengroßer Spaß mit einiger Selbsterkenntnis! CO

Wolfgang Herles: Vorwiegend festkochend – Kultur & Seele der deutschen Küche, 415 S., Pinguin Verlag, 29 Euro. Foto: Pinguin Verlag