Nachrichten aus einem kleinen Land

Unser Autor

 

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

NACHRICHTEN AUS DEM TOLLHAUS

Flucht der Schwestern und Ärzte

Im einzigen Krankenhaus der westungarischen Kleinstadt Ajka haben, wegen andauernder Überlastung und miserabler Ausrüstung, alle Schwestern der Intensiv-Station gekündigt. Ihnen folgten die Narkoseärzte. Eine Katastrophe für die Stadt und Umgebung.
Da es in Ungarn keinen Gesundheitsminister gibt, erhob dazu der zuständige „Minister Für menschliche Kraftquellen“ seine Stimme (die wörtliche Übersetzung seines Titels ist auch auf Ungarisch nicht verständlicher). Er sagte: Die wichtigste Medizin sei das Einhalten der christlichen „Zehn Gebote“.
Immerhin wurde im Parlament die Frage gestellt, welches der Gebote besonders streng einzuhalten sei: Etwa „Du sollst nicht – EU-Gelder –stehlen“? Leider blieb der Minister eine Antwort schuldig.

Obdachlosigkeit als Straftat

Das Gesetz wurde vom Parlament gebilligt. Vom Staatspräsidenten unterschrieben. Und somit trat es in Kraft. Tatsächlich verschwanden die Obdachlosen von den Straßen und Plätzen der Städte.
Als erste protestierten dagegen die Richter. Dann die Rechtsanwälte. Dann die Ärzte. Schließlich wurde von einem privaten Meinungsforschungs-Institut eine repräsentative Umfrage veröffentlicht. Danach denken zwei Drittel der Befragten, dass Obdachlosigkeit keine Straftat sei. Allerdings möchten etwa ebenso viele Obdachlose ungern in den Straßen ihrer Stadt sehen. Mich hat damals, als dies noch möglich war, ein wenig getröstet, dass die Obdachlosen recht gut mit Kissen und Decken durch Passanten aus der Nachbarschaft versorgt waren. Dazu landeten regelmäßig Münzen und Geldscheine in den bereitgestellten Pappbechern.
Wenn ich mir Obdachlose heute in den feuchten und kalten Wäldern vorstelle, denn viele wollen nicht in die überfüllten Heime gehen, tun sie mir umso mehr leid.
Dafür ist das Problem unsichtbar geworden.

Strafe für einen Bücherwurm

Der zweite Vorsitzende der Partei Demokratische Koalition Ungarns, Csaba Czeglédy, sitzt im Knast. Er soll den ungarischen Rechtstaat lächerlich gemacht haben. Ein Kunststück: Wie kann man etwas lächerlich machen, das nicht existiert? Zweifellos ein weiterer Versuch der Regierung, die Opposition zu zermürben.
Kürzlich ereilte den Politiker selbst hinter Gittern eine Strafe. Weil er für die Gefängnisleitung „zu viele“ Bücher in seiner Zelle aufgehäuft habe, darf er bei den Kulturveranstaltungen der Strafanstalt künftig nicht teilnehmen. „Wunderbar!“, soll er gesagt haben, „so bleibt mir mehr Zeit zum Lesen“.

Busfahren in Budapest – mit Überraschungen

Busfahren in Budapest

Der Sommer war nicht nur heiß sondern auch turbulent: Einerseits Proteste gegen den Kahlschlag im Stadtwäldchen, dazu Aufmärsche gegen die Regierung. Andererseits Musik- und Theaterfestivals im Freien, bei denen auch der Ministerpräsident das Wort ergriff – und es nicht wieder loslassen wollte.
All dies bedeutete Straßensperren. Und was in Budapest noch schwerwiegender ist, Sperren einer oder gar zwei Donaubrücken.
An einem solchen Tag saß ich im Bus 105, der mich gewöhnlich von Pest über die Kettenbrücke nach Buda und zu meinem Lieblings-Schwimmbad, (mit 29° warmem Quellwasser) Rudas fürdö, bringt.
Ich saß am offenen Fenster, direkt hinter der Fahrerkabine. Zunächst erreichten wir ohne Schwierigkeiten den Pester Brückenkopf der Kettenbrücke, wo allerdings ein unübersichtliches Schild die Überquerung verhinderte. Immerhin, als Beweis von Voraussicht des Leiters der Budapester Verkehrsbetriebe* stand (zur Fahrerseite des Busses) eine Polizistin. Eine Riesin. Mit etwa 2,20 Meter so hoch, dass sie kaum den Kopf heben musste, um mit dem (erstaunten) Fahrer zu plaudern. Der fragte denn auch etwas kleinlaut, wie er (mit uns Fahrgästen) auf die andere Seite der Donau komme. Darauf die selbstbewusste Beamtin: „Sie sehen dort vorn den Bus Nummer 19. Fahren Sie dem nach. Dem habe ich gerade den Weg erklärt.“
Es wurde eine hübsche, etwas längere Reise an der Donau entlang, denn auch die nächste, die Elisabeth Brücke, war gesperrt. Ich erreichte trotzdem noch rechtzeitig das Schwimmbad.

*Über die Budapester Busfahrer lohnt es sich zu wissen, dass sie nicht ihr Arbeitsleben lang eine Tour fahren. Als ich davon das erste Mal hörte, war ich begeistert, dass sie nicht, wie alte Esel in einer Weizenmühle, immer dieselbe Runde drehen müssen. Bald aber sah ich Busse, deren Fahrer offensichtlich in der letzten Minute entdeckten, dass sie rechts oder links abbiegen mussten. Ja, nichts ist vollkommen.
Fotos: privat/budapestbylocals