Meldungen aus einem kleinen Land, Peter Meleghy berichtet aus Ungarn

Unser Autor

Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Webseite www.ungarnaktuell.de , außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com 

Die freiwillige Versklavung – Es reicht, Orban!

 

Der ungarische Ministerpräsident und Vater der Nation hat im Spätherbst entdeckt, dass seine Untertanen mehr arbeiten, mehr Überstunden machen möchten. Und weil sie dies im eigenen Land nicht können, wandern sie ins Ausland ab.

Das galt es, möglichst schnell zu verhindern. Also ließ er ein neues Gesetz schaffen, das Anfang Dezember etwas knirschend, von Pfiffen und Buhrufen begleitet, im Parlament wenn auch nicht abgesegnet, so doch immerhin angenommen wurde.

Danach können Arbeitnehmer und Arbeitgeber – freiwillig – einen Vertrag schließen. Von da an leiht der Arbeitnehmer seinen Lohn für bis zu 400 Überstunden seinem Arbeitgeber. Der Arbeitgeber verspricht den Lohn für die Überstunden innerhalb von drei Jahren zurückzuzahlen. Während dieser Zeit ist es für den fleißig arbeitenden und geduldig wartenden Arbeitnehmer allerdings nicht ratsam, zu kündigen. Denn auch das steht im Gesetz: Dann verliert er sein ausgeliehenes Geld. So soll er an die wesentlich besser bezahlten Jobs im westlichen Ausland möglichst gar nicht erst denken. Das Ziel ist ja, die Abwanderung zu stoppen, die gerade unter der Orbán-Regierung steil angestiegen ist.  

Die Regierung betont die Freiwilligkeit zwischen den (doch etwas ungleichen) Vertragspartnern. Und viele einfache Arbeiter erkennen die Falle nicht. Dafür spricht die Opposition umso lauter über Versklavung, übers Ausgeliefert-sein an die Gnade einer Firma – und geht auf die Straße. Neu ist, dass viele Studenten aus Solidarität mitmarschieren.

Die Demos waren riesig

Am Samstag, dem 15. Dezember, dauerten die Protestmärsche in Budapest bereits drei Tage. Dabei wurden abwechselnd die verschiedenen Donaubrücken für Autos unpassierbar, was die Fahrer jedoch gelassen hinnahmen. Die Polizei sprühte schon mal Tränengas, es gab Verhaftungen, Geldstrafen, immerhin keine Schlagstöcke.

Offensichtlich hat das „Versklavungs-Gesetz“ die Protestparteien endlich zusammengeführt. Am Sonntag, dem 16. Dezember protestierte schließlich das ganze Land gegen die gesamte Politik der Orbán-Regierung, so auch gegen die Ernennung der Richter an Verwaltungsgerichten durch die Regierung. Andererseits war man für den Anschluss Ungarns an die Europäische Staatsanwaltschaft.  

In Budapest zogen ca. 40.000 Menschen vors Parlament. Alle Oppositionsparteien und alle Gewerkschaften waren dabei. Besonders bemerkenswert waren die vielen, insgesamt elf, klugen Reden von Politikerinnen. Die Audi-Gewerkschaft ??? bekundete ihre Solidarität. Aus dem Ausland nahm eine Gruppe teil, die ein Transparent trug: „Wir sind gekommen, um Überstunden machen zu dürfen!“ Es herrschte eine wunderbare Stimmung.

Und selbst in den Provinzstädten protestierten jeweils Hunderte. Motto: Orbán verschwinde! Wir werden keine Sklaven!

Um Mitternacht in den staatlichen Nachrichten im Radio: Kein Wort über die Demonstrationen.    Foto: Daily Hungary