Unser Autor

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

PROTEST, PROTEST, PROTEST!

Wie zwei ehemalige Freunde des ungarischen Ministerpräsidenten immer wieder schmunzelnd berichten, kamen sie zu dritt nach dem Abitur zusammen aus ihrem Dorf nach Budapest. Froh, in der Großstadt zu sein, betranken sie sich und zertrümmerten ihr Zimmer im Studentenheim.
Ich habe die böse Befürchtung, dass Viktor Orbán Ähnliches mit ganz Ungarn im Sinn hat. Ein neuerliches trauriges Beispiel ist das sinnlose „Versklavungsgesetz“ (bis zu 400 Überstunden im Jahr, die innerhalb von drei Jahren bezahlt werden sollen – wenn der Arbeitnehmer bis dahin weder stirbt noch kündigt. Ist eines davon eingetreten, braucht der Unternehmer nicht zu zahlen).

Dagegen protestiert inzwischen das ganze Land. Wie bei einer Veranstaltung im ostungarischen Debrecen der Gewerkschafts-Sprecher einer großen Gummifabrik berichtete, arbeiten er und seine Kollegen täglich bis zu zwölf Stunden, zudem leisten sie Überstunden. Dabei machen sie wegen der Übermüdung Fehler über Fehler: Unfälle, Verletzte, unbrauchbare Maschinen. Das kostet immens viel Geld – und durch das neue Gesetz kann es noch schlimmer werden. So flüchtet, wer nur kann. Selbst ohne die Familie.

Demo in Budapest

Das bemerkenswert Neue in Ungarn: Auch Lehrer und Studenten halten nicht mehr den Mund. Anfang Januar gab es eine Feier in der renommierten Wissenschafts-Uni Eötvös Loránt, kurz ELTE:
Voller Festsaal, viel Prominenz. Eine Professorin begrüßt die verehrten Gäste. Doch kaum hat sie ihren Mund geschlossen, stehen ca. 30 Studenten von ihren (recht früh besetzten) Stühlen in der ersten Reihe auf und skandieren (gut eingeübt, klar, verständlich und laut) ihre Kritik an der Vertreibung der international anerkannten Central Europayen University aus Budapest nach Wien (dort wurde der George-Soros-Stiftung freudig Asyl gewehrt). Anschließend folgten die studentischen Forderungen: Korrekte staatliche Stipendien (in Ungarn nennt man den Gebührenerlass bei Bedürftigkeit „Stipendium“); bewohnbare Studentenheime; echte Hilfen zum Studentenleben. Die Veranstalter beendeten das studentische Intermezzo mit ohrenbetäubender Musik.

Beim Hinausgehen winkten mir drei der (ELTE-) Studenten zu, die ich wenige Tage zuvor bei ihrer Belobigung kennen gelernt hatte. Ihre Dreiergruppe im zweiten Semester Ökonomie war bei einem internationalen Wettbewerb durch mehrere Runden hindurch – Wirtschaftssimulation, Mikroökonomie, Spielelemente, Marktelemente, Benimmökonomie und Umweltökonomie – unter 87 ähnlichen Gruppen aus 32 Ländern auf Platz 1 gelandet. Ob die drei Herren nach ihrem Abschluss in Ungarn bleiben werden?
Und noch eine Demo: In der südungarischen Stadt Szeged wurden kürzlich bei einer Protestveranstaltung Aufnahmen von früheren Reden Orbáns (als er und seine Partei noch in der Opposition waren) vorgespielt. Darunter der Satz: „In einer Demokratie hat das Volk das Recht, eine unwürdige Regierung davon zu jagen.“Der Haken: In Ungarn gibt es keine Demokratie mehr.
Fotos: privat