Auf ein Wort:
Meldungen aus einem kleinen Land
Peter Meleghy berichtet aus Ungarn

Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Webseite www.ungarnaktuell.de , außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com 
Die große Dame der ungarischen Philosophie ist tot.

Sie hatte einige Tage im Ferienhaus der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Balatonalmádi am Plattensee verbracht. Am Freitagnachmittag, dem 19. Juli, ging sie schwimmen, einige ihrer Freunde begleiteten sie bis zum Strand. Sie ging ins Wasser, die Freunde warteten. Etwa eine Stunde später meldete die örtliche Wasserpolizei, dass ihre Leiche gefunden wurde. Dann ging die Meldung um die Welt.

Ágnes Heller bleibt ihren Freunden in Erinnerung

Als Ungläubige:
Sie hat nicht an einen Gott geglaubt, sondern an sich.

Als Träumerin:
Nachdem sie die Schriften des Karl Marx und Immanuel Kant studiert hatte, glaubte sie sogar lange an eine „anthropologische Wende“, einer radikalen Änderung des Homo Sapiens. Erst nach dem niedergeschlagenen Volksaufstand 1956 erkannte sie, dass die meisten Menschen sich wie Schafe den Umständen anpassen möchten.

Als gefährlich Kluge:
Ihr Ehemann wurde von der Staatspolizei befragt, was sie wohl mit einem Satz in einem ihrer Vorträge gemeint habe, und ob der Satz eventuell als Kritik am Sozialismus verstanden werden könnte. Der Satz lautete: „Auch im Sozialismus existiert eine gewisse Entfremdung.“ Ihr Mann wusste ihn nicht genau zu erklären, war aber sicher, dass er nicht gegen den Sozialismus gerichtet sein könne. Weil dieses Ergebnis der Nachforschung nicht befriedigend war, befragten die Ermittler auch einen ihrer Kollegen von der Budapester Universität. Der war aufgeweckter und antwortete mit einer Gegenfrage: „Weshalb fragen Sie nicht gleich Frau Heller?“
„Ach, wissen Sie, die ist viel zu klug für uns“, kam die ehrliche Antwort – ein Kompliment.

Als Stilistin:
Sie hasste das Wort, „entschlafen“. Sie sagte, wenn sie es hörte: „Ich werde nicht ‚entschlafen‘, ich werde sterben.“
Das ist vor wenigen Tagen geschehen. Und wir – viele Menschen – denken mit Anerkennung und Zuneigung an sie.

Fotos: privat/wikipedia