Unser Autor

Meldungen aus einem kleinen Land
Peter Meleghy berichtet aus Ungarn

Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Webseite www.ungarnaktuell.de , außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com 

Mein letztes, zauberhaftes Vor-Corona-Osterfest

Im Frühjahr 2019 wurde ich von meiner Freundin Eszter, Journalistin, zum Osterfest in ihr Geburtsdorf eingeladen. Es liegt in den bewaldeten Hügeln Nordungarns, wo ihre Eltern, hochbetagt und gesund, immer noch leben.
Ostersonntag, sonnig und warm. Eine Gruppe von Dorfjungen, um die sechzehn, siebzehn, ist festlich gekleidet. Sie tragen schneeweiße Leinenhemden mit breiten Ärmeln, enge schwarze Hosen und schwarzglänzende Stiefel. In den Händen je ein kleiner Eimer mit warmem Wasser und einen Zweig mit Weidenkätzchen.
So gehen sie in Gruppen zu den etwa gleichaltrigen Mädchen, die in weißen Blusen und bunt bestickten Röcken, dazu roten Stiefelchen vor dem hell-gekalkten, ebenerdigen Elternhaus eines der Mädchen auf sie warten: flüsternd, kichernd, lachend, gespannt – sie wissen ja, was folgt und auch um die archaische Bedeutung des Rituals.

Ich, der einzige Fremde, sitze mit Eszter, die versprochen hat, mir das Geschehen zu interpretieren, auf einer Bank unter einer alten Platane – und bin gespannt.

Die Jungs machen die Mädchen nass

Und da kommen schon lärmend die Jungs und beginnen, nach einer fröhlich-lauten Begrüßung, die Mädchen großzügig mit Wasser zu bespritzen. Die laufen durcheinander, als wollten sie flüchten, wüssten aber nicht wohin, ihre hellen Schreie schallen durchs ganze Dorf. Dabei versuchen sie kaum ihre Busen zu bedecken, die sich unter den nassen Blusen verführerisch abzeichnen, besonders die „Brustknospen“ (ungarisch für „Brustwarze“). All dies dauert etwa fünf, sechs Minuten. Anschließend laufen die Mädchen ins Haus, und die Jungs singen ein fröhliches Dankeslied auf die Quelle der ersten Mahlzeit eines jeden Menschen auf Erden und auf die nährenden Mütter.
Kurz darauf kommen die Mädchen in neuen, hellen, luftig–dünnen Kleidchen wieder, jedes mit einem Korb roter Eier. Dazu meine Expertin: „Ein Ei, um mich zu befruchten – und rot wie meine Wangen bei der Liebe“.
Dafür überreichen ihnen die Jungs die Weidekätzchen mit den kleinen behaarten Bällchen – als Zeichen: „Wie gern würde ich dich befruchten, göttliche Geliebte!“
Schließlich noch ein fröhliches Lied über den Frühling, von allen zusammen, etwa 20 Menschen – und es geht in den Garten von Eszters Geburtshaus mit den langen, weiß gedeckten Tischen, zum traditionellen Ostermahl: Fischsuppe mit Bauernbrot, dazu ein leichter Weißwein, anschließend Eiernudeln mit Quark, getrockneten Aprikosen und Honig. Die Fische kommen aus dem Wildbach, der durch das Dorf fließt, alles andere aus der eigenen Hauswirtschaft.
Ich sitze zwischen Eszter und ihrer Mutter, die kurz vor Beginn der Mahlzeit aufsteht und sagt: „Wir heidnischen Ungarn essen das Lamm des christlichen Gottes, deren Priester unsere fröhlichen Osterfeste des neuen Lebens mit Mord und Blut beschmutzt haben – nicht! Dafür schicken wir einen Handkuss an die himmlische Mondgöttin, die alt-germanische Ostara.“

In einigen ländlichen Gemeinden Ungarns feiert man Ostern immer noch so, oder so ähnlich. In der Stadt ist davon nur das Besprühen der Mädchen und Tanten in der Verwandtschaft mit Kölnischwasser geblieben, als Privileg der ganz kleinen Jungs. Und dies, ohne dass irgendjemand von den Beteiligten die ursprüngliche Bedeutung des Festes auch nur ahnen würde.

Schließlich ein Geschenk an alle deutschsprechenden Frauen:

Ich, Ihr Autor, empfehle, das Wort „Brustwarze“ nicht mehr zu benutzen. Dafür biete ich die deutsche Übersetzung des ungarischen Wortes – mellbimbó – Brustknospe an.

Bedenken Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser bitte: Eine Warze ist eine, wenn auch harmlose, Hauterkrankung. Das Wort „Brustwarze“, durch die jedes Neugeborene die erste Nahrung zu sich nimmt, ist nicht nur unappetitlich. Es ist unästhetisch und geradezu beleidigend für jede Frau.

Eine Knospe dagegen ist hübsch und birgt gerade die passenden Begriffe Wachsen, Werden und Zukunft in sich. Somit ist Brustknospe das beste Mundstück für die beste Baby-Nahrung der Welt.

Mit Verehrung und ungarischem Handkuss
Ihr Péter Pál Meleghy
(Entnommen meinem neuen Buch: Die urzeitlichen Göttinnen leben. In jeder Frau. Und sie lassen uns täglich grüßen.)