Nachrichten aus einem kleinen Land

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

Glück sollte man haben. Und zur Krönung ein Schätzchen

Die Familie Blaskovich war vom niederen Adel ohne Titel und züchtete Pferde. (Sie durfte nur ihren Namen anders schreiben, als man ihn aussprach – das war schon etwas Besseres.) Sie hatte auf dem Flachland, 60 Kilometer südöstlich von Budapest ein weiß gekalktes Schlösschen mit hohen Fenstern und zwei Türmchen, die so niedrig waren, dass kein Zimmerchen darunter Platz hatte. Ein Blaskovich sammelte bezahlbare bäuerliche Malerei, ein anderer unbrauchbare hübsche, alte Waffen.

Doch das wichtigste, was sie nicht sammeln mussten: Sie hatten immer Glück.

Als im Zweiten Weltkrieg versprengte Sowjetsoldaten nach dem Weg zur Hauptstadt fragten, wurden sie mit Brot, Paprikawurst und Aprikosenschnaps bewirtet. Sie aßen, tranken, dankten, belächelten die Waffen in der Vitrine – und zogen weiter. Auch im nachfolgenden Kommunismus, als die adligen Familien aus den Städten aufs Land zur Umerziehung geschickt wurden, hat man die Blaskovichs in Ruhe gelassen. Sie waren schon auf dem Land.

Doch das größte Glück geschah eine Generation früher. Am 17. März 1874 wurde im Stall eine Stute geboren, die die Züchter nichts ahnend Kincsem Schätzchen (wortgenau: „Mein Schatz“) nannten. Sie hatte einen schmalen Kopf, einen langen Hals und dünne Beinchen, auf denen sie sogleich stehen konnte – bis sie hinfiel. Doch das war (vermutlich) das letzte Mal. Denn Papa war importiertes, englisches Vollblut, fürs Galoppieren gezüchtet, Mama ungarisches Vollblut vom Esterházy-Gestüt nebenan. Mit einem Jahr bekam Schätzchen einen britischen Trainer und siegte prompt 1876 beim Epson Derby und 1878 gar beim Goodwood Cup. Dort nahm Prinz Richmond den Arm von Ern? Blaskovich und führte ihn in die Loge des Prinzen von Wales. Unterwegs freilich musste ein Graf seinen Top Hat gegen dem Bauernhut des ungarischen Pferdezüchter tauschen, um einen Eklat zu vermeiden.

Und so ging es, in ähnlich feiner Gesellschaft mit den Siegen des Schätzchen weiter: Prag, Boulugnon (Nordfrankreich), Baden-Baden, Wien, Hamburg und so fort. Insgesamt 54 Läufe und 54 Siege. Kein Pferd hat es je vor ihm geschafft und keines nach ihm. Zumindest bis heute.

Wie (fast) jeder Star hatte auch die Wunderstute eine Allüre. Ihre Freundin, eine schwarz-weiß gescheckte Katze, die auch bei ihr schlief, musste auf allen ihren Reisen dabei sein. So war die Aufregung groß, als die Katze im Hafen von Boulugnon verschwand, die ganze Mannschaft sie suchte, während Schätzchen mit den Vorderhufen trommelte und nicht von Bord ging. Die Sache ging gut aus: Die Katze wurde gefunden.

Heute ist das Blaskovich-Schlösschen ein staatliches Museum. Der grobe Holzfußboden, die Biedermeier-Möbel, die Bauerngemälde und die Kleinwaffen in den Vitrinen vermitteln das unverwechselbare Lebensgefühl des ungarischen Kleinadels des 19. Jahrhunderts. Dazu sind die Trophäen des Schätzchens ausgestellt, und im Gestüt kann man reiten, Kutsche fahren oder Pferde-Kunst-Vorführungen sehen. Siehe: www.blaskovichmuseum.hu

Foto: privat/wikipedia