Unser Autor

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

 

                               Vom Wahrsager, dem Retter und dem Schnüffler

 

Der Wahrsager
Anfang April sah der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán eine schreckliche Corona-Welle auf Ungarn, besonders auf Budapest, zurollen. Flugs ordnete er an, 10.000 Krankenhaus-Betten frei zu machen (Ärzte und Pfleger sprechen von weit höheren Zahlen). Dafür wurden viele meist alte Patienten mit verschiedenen chronischen Krankheiten schlicht nach Hause geschickt. Eine Pflegerin berichtete im Oppositionssender schluchzend, dass alle, die sie bis dahin betreut hatte, bald starben.
Zwar blieb die gefährliche Welle aus – die Aktion war trotzdem nützlich: Pfleger und Ärzte konnten entlassen, Gehälter und Verpflegung eingespart werden.

Der Retter
Immerhin starben nicht alle entlassenen Kranken. Mehrere von ihnen wohnen seither auf dem Land und werden von Verwandten und Freunden gepflegt. Und wenn etwas Schlimmes passiert, ihr Zustand sich etwa dramatisch verschlechtert, rufen sie Gábor. Der ist ein längst pensionierter Krankentransporteur mit einem uralten Rettungswagen – und außerdem ein wanderndes Krankenhaus-Lexikon. Er weiß immer, in welcher Anstalt in der Nähe gerade Platz und kundiges Personal zu finden ist. Das ist in Ungarn eine Kunst.

Der Schnüffler

Ein Schnüffler wie Goffi

Diese Geschichte beginnt mit der elfjährigen Emma. Sie leidet an Zöliakie, einer seltenen und zugleich schwersten Form von Gluten-Empfindlichkeit, die nur 0,7 bis 1 Prozent der Menschen befällt.
Gluten ist ein Eiweiß in Fleisch und Käse, befindet sich aber auch im Weizen und anderen Getreidesorten.
Bei den Betroffenen bekämpft das Immunsystem bei Gluten-Verzehr die Darmwand und verursacht Schäden und Schmerzen. Bei Emma genügen dazu winzige Spuren von Gluten. So war für sie die Angst schwer zu ertragen, besonders bei Einladungen etwas zu essen.
Nach langem Suchen hatte Emmas Mutter von Hunden gehört, die für Menschen nicht wahrnehmbare Mengen Gluten erschnüffeln können. Zudem hörte sie von einem Hundetrainer in Slowenien, der seine Kunst in den USA gelernt hatte. Obendrein trainiert der Mann die Hunde zusammen mit deren Besitzern online. Und das Beste: er hatte viele gute Empfehlungen.
Also gingen Emma und ihre Mutter in ein Budapester Hundeasyl, lernten dort Goffi, einen Mischling mit schwarzen Locken, kennen und mögen, und nahmen ihn gegen eine Spende mit nach Hause.
Die Ausbildung dauerte zwei Jahre, hat umgerechnet 30.000 € gekostet, und ist durch eine Sammlung in der Familie zusammen gekommen. Dafür beschnüffelt Goffi heute alles, bevor es Emma isst, und bellt geradezu empört, wenn sich darin auch nur ein Molekül (winziger als winzig) Gluten befindet.
Goffi braucht natürlich Bewegung, er darf allerdings nicht stundenlang durch Budapest spazieren, denn die vielen groben Gerüche schaden seiner superfeinen Nase.
Emma liebt ihn – selbstverständlich. Und sie behauptet, Goffi könne nicht nur schnüffeln – sondern auch lächeln.

Fotos: privat