Unser Autor

Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Webseite www.ungarnaktuell.de , außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com 

Für eine bessere Zigeunerwelt

Der Bürgermeister László Bogdán kam von ganz unten. Die Mutter war Putzfrau, der Vater Bergmann. Die Erinnerung an seine Jugend hieß Hunger. Nach der Grundschule wollte auch er in die Kohlemine, doch sie wurde unrentabel und geschlossen.
László Bogdán fegte Fabrikhallen, arbeitete am Laufband, packte Monitore ein und kämpfte sich mit Fleiß und Verstand ins mittlere Management der Firma Elcoteq im südungarischen Fünfkirchen hoch.
Im Frühling 2002 zog er zurück in sein Geburtsdorf Cserdi (sprich: Tscherdi): zwei Straßen, 411 Einwohner, weit mehr als die Hälfte Roma, die sich als Zigeuner bezeichnen, und auch Romani sprechen. „Das häufigste Wort, das ich hörte“, sagte er, „war ‚Dema!‘“ – Lass’ mich in Ruhe! Nur wenn er fragte: „Hast du Geld für Brot?“ kam eine andere Antwort.
Bogdán war entsetzt: Jährlich gab es in dem kleinen Ort rund 200 Einbrüche. Die Jungen und jungen Männer hatten keine Arbeit, kein Geld, also stahlen sie. Der Knast war voll, bereits 12-Jährige saßen dort ein. Und waren sogar stolz darauf: Ein richtiger Mann war schon mal im Knast gewesen. Wenn sie draußen waren, saßen sie in der Kneipe.

László Bogdán

Als neuer Bürgermeister – wer wollte schon den Job haben –, ließ Bogdán zu allererst die Kneipe schließen, und dann zeigte er allen Dorfbewohnern den Knast. Das half schon ein wenig.
Dann, bei der ersten Vollversammlung aller mehr oder weniger Erwachsenen, die über Arbeitsmangel in der Umgebung klagten, kam er mit der Lösung: „Arbeitet nicht für Andere gegen einen Hungerlohn! Arbeitet für euch selbst!“
Das hat eingeleuchtet. Seine Mitbürger begannen mit 3000 Paprika-Pflänzchen, die täglich zwei Liter Wasser brauchten, dann pflanzten sie Kartoffeln.
Bogdán startete unterdes ein Unterrichtsprogramm, war allerdings kein netter Lehrer, kein netter Chef. Er überwachte streng, dass bei der Kartoffel-Ernte auch alle Knollen aus der Erde geholt wurden – mit bloßen Händen.
„Die Menschen haben es begriffen“, sagte er. Und es ging aufwärts: 2006 versorgten sie die nahe und weitere Umgebung mit frischem Obst und Gemüse. 20 Hektar Wald wurden gepflanzt. Und zu Beginn der Corona-Virus-Epidemie im März 2020 haben die Familien in Cserdi den Menschen in den Nachbardörfern insgesamt 20 Tonnen Kartoffeln und Zwiebeln geschenkt.
Und als im Nachbardorf eine farbige Mutter mit drei Kindern bei ihren weißen Freunden einige Tage ausruhen wollte, was angeblich eine Panik auslöste, luden die Cserdianer die kleine Familie einfach zu sich ein.
Langsam wurde das ganze Land auf das Wunder von Cserdi aufmerksam; Bogdán bekam 2020 , als Anerkennung seiner Arbeit für die Roma-Minderheit vom Europarat den mit 10.000 Euro dotierten Raoul-Wallenberg-Preis für außergewöhnliche humanitäre Leistungen. Der Namensgeber des Preises, der schwedische Diplomat Wallenberg, rettete im Zweiten Weltkrieg vielen ungarischen Juden das Leben. Des Bürgermeisters Hoffnung: „Ich glaube daran, dass auch in Ungarn die Zeit kommt, wenn es egal ist, ob einer Zigeuner oder Weißer ist.“
Das Ende. Am 13. Juli 2020 wurde László Bogdán tot in einem leeren Lagerhaus gefunden. Er war 46 Jahre alt. Die Todesursache ist nicht bekannt.