Nachrichten aus einem kleinen Land

Unser Autor

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

                                          

                                                   Jagd auf die Wahrheit

Die Orbán-Regierung versucht das Klub-Radio zum Schweigen zu bringen. Deshalb wurden dem oppositionellen Sender die Lizenzen entzogen. Die Begründung: Verbreitung unwahrer Behauptungen.

Zwar tritt das Urteil erst im Februar 2021 in Kraft, doch kocht es in der liberalen europäischen Welt der Medien schon jetzt. Denn das Klub-Radio ist der einzige und letzte freie Sender Ungarns.

Begonnen hat die Jagd auf die Wahrheit schon vor gut zehn Jahren mit der Vernichtung der größten Tageszeitung Népszabadság (dt.:Volksfreiheit): Da hat ein österreichischer Freund Orbáns das Blatt vom damaligen schweizerischen Eigentümer für gutes Geld gekauft und anschließend – wegen Erfolglosigkeit – eingestellt. Bezahlt wurde der Kaufpreis aus ungarischen Steuergeldern und EU-Zuwendungen.
Anschließend hat Orbán die Central-Europäische-Universität, CEU, eine Soros-Stiftung, aus dem Land vertrieben. Wien nahm sie mit Handkuss. Ähnliche Machenschaften folgten.

Allerdings wird das Klub-Radio ein widerspenstiger, ja schwieriger Fang werden. Da der Sender die grundgesetzlich garantierte staatliche Unterstützung nicht bekommt, halten ihn die Hörer (darunter auch ich) mit Spenden am Leben. Zudem sind alle Sendungen im Internet als Ton und Bild zu empfangen – einschließlich aller früherer Sendungen. Und dort sind auch die unwahren Behauptungen zu hören, die es tatsächlich gab und gibt.

Denn: Einer der Hauptpfeiler des Klub-Radios sind die beliebten Diskussionen des Moderators György Bolgár mit den Hörern, die im Studio anrufen und ihre Meinungen zu aktuellen Themen von sich geben können. Da wird jeder angehört. Auch Freunde und Sympathisanten der Orbán-Regierung. Und die Jungs sind – von der Regierungsseite gesehen – richtig gut. Der Moderator kommt nicht zu Wort, er kann sie nicht bremsen, schon gar nicht stoppen. Sie reden, bis sie all ihre Lobpreisungen und Unwahrheiten losgeworden sind.

Ich dachte Jahre lang, dass diese Toleranz gegenüber dem Gegner der Preis für die Existenz des Senders sei. Doch weit gefehlt! Orbán ist nichts genug. Er will die Andersdenkenden erst zu Wort kommen lassen, wenn er sie vernichtet hat. Wenn das keine Kunst ist!?

Als Nebenspielplatz will er sich zurzeit auch die Theater- und Filmakademie, derzeit noch eine Privatstiftung, einverleiben. Zum Glück sind die jungen Schülerinnen und Schüler ordentlich laut und einfallsreich in ihrem Protest. Erst vor kurzem, am 14. September, haben sie das Erste Demokratische Lehrinstitut ausgerufen.

Am vergangenen Sonntag sagte einer der Professoren bei einer Demo: „Das waren noch Zeiten, als um 1455 der Dichter, Francois Villon, nach einem Apfelklau in Paris von zwei berittenen Polizisten verfolgt, in die  Sorbonne flüchten konnte. Denn dorthin hatte der Staat, somit auch die Polizei keinen Zutritt.“

PS: In wenigen Tagen, bis zum 28. September, sind von den Hörern 50 Millionen Forint, knapp 400.000 Euro, gespendet worden – und es geht weiter für die Nachrichtenfreiheit.

Fotos: privat/Klub-Radio