Nachrichten aus einem kleinen Land

Unser Autor

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

                                      

                                       Für einen Sack Kartoffeln  

Als Viktor Orbán 2010 Ungarns Ministerpräsident wurde, verkündete er in einer seiner ersten Reden, er wolle in seinem Land eine neue Mittelklasse erschaffen. Ich hatte schon damals ein unangenehmes Gefühl, als ich das im Radio hörte, denn ich hegte den Verdacht: Meinte er nicht vielleicht erkaufen oder schlicht kaufen?

Der erste (untaugliche) Versuch geschah recht bald. Orbán reiste zu meinen Freunden nach Innsbruck, wo das Land Tirol einen Verein und ein Studentenheim für ungarische Studenten finanziert. Den jeweiligen Vorsitzenden des Vereins wählen die Mitglieder.
Orbán allerdings empfahl einen Mann für den Posten, den er auch mitgebracht und wortreich vorgestellt hatte. Anschließend teilte er den versammelten Mitgliedern mit, dass im Fall seiner Wahl der Verein nie unter Geldmangel leiden werde.
Die Studentinnen und Studenten haben den Mann trotzdem nicht gewählt. So gab es auch kein Geld und keine weiteren Besuche Orbáns bei den Landsleuten in Innsbruck.

Mit der Zeit hat er seinen Kauf-Stil allerdings verbessert, und zwar so: EU-finanzierte Bauaufträge bekamen ohne Ausschreibungen Mitglieder seiner erweiterten Familie. Städte und Gemeinden mit einem Bürgermeister seiner Partei bekamen finanzielle Zuwendungen. So fühlten sich immer mehr, immer reichere Menschen zu ihm hingezogen.    

Dann kam die Idee zur Unterstützung der breiteren Mittelklasse: Für Wohnungs- und Hausbesitzer gab und gibt es für Modernisierung oder Renovierung Darlehen mit verlockend niedrigen Zinsen. Das ist natürlich nett! Schlecht bloß für Menschen, die keine Wohnung und kein Haus haben.

Schließlich kamen die kleinen Unternehmer dran: Orbán hat 2020 per Gesetz die Steuern für kleine und mittlere Betriebe, wie meinen Gemüsehändler in Budapest, halbiert. Das ist aber nun wirklich nett! Obendrein hat er in  Städten wie Budapest die Parkgebühren gestrichen.

Um freilich die unermessliche Güte richtig ermessen zu können, ist es gut zu wissen, dass diese Steuern den Städten und Gemeinden zustehen. Eigentlich und gesetzmäßig. Und so hat Orbán denn auch den Gemeinden mit Bürgermeistern, die seiner Partei zugehören, den entstandenen Verlust ausgeglichen.  
 
Schließlich gibt es noch die Hilfe ganz unten, zumal bei den Parlamentswahlen. Da nur wenige Roma einen Professoren- oder auch nur Doktor-Titel haben und einige angeblich weder schreiben noch denken können, brauchen sie einen Helfer in der Wahlkabine, damit sie das Kreuz an der richtigen Stelle setzen. Dafür wurden sie bei der letzten Parlamentswahl mit staatlicher Hilfe zu den Wahlbüros gefahren und bekamen nach dem Akt einen großen Sack Kartoffeln.
Als allerdings ein oppositioneller Abgeordneter einen ähnlich großen Sack voller Kartoffeln im Plenarsaal dem Parlaments-Präsidenten schenken wollte, bekam er eine recht hohe Geldstrafe – wegen Beleidigung des Hohen Hauses. Vermutlich mag der Parlaments-Präsident keine Kartoffeln.
Anders die minderbemittelten Roma. Für einen Sack Kartoffeln wählen sie bestimmt gern wieder den Richtigen.         
Immerhin: Die Oppositionsparteien haben sich für die Parlamentswahl 2022 zusammengerauft – gemeinsam gegen Orbáns Fidesz. Und es gibt gegen die staatliche Übermacht bei Radios, Fernsehen und Plakatwerbung immer mehr unabhängige Internet-Medien, die von den Hörern und Zuschauern am Leben erhalten werden.
Auf ein gutes Gelingen!   Fotos: privat/www.kartoffelsack.de