Nachrichten aus einem kleinen Land

Unser Autor

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

                                       Klubrádió im Internet-Exil  

Seit Montag, dem 15. Februar hört man auf der Budapester Wellenlänge 92,9 kHz nur noch ein leises Rauschen. Das Klubrádió mit dem Motto Nachrichten und Meinungen sendet nicht mehr. Am ganzen Tag zuvor nahmen die Mitarbeiter Abschied von den Hörern – es war rührend. Dabei fiel mir auf, wie viele Mitarbeiter es waren; darunter allerdings viele freie, die nur einmal in der Woche auf Sendung waren/sind. Meine Favoriten: zwei alte, ehemalige Redakteure der größten Tageszeitung Népszabadság („Volksfreiheit“), deren Blatt schon vor gut zehn Jahren einkassiert wurde. Sie hatten jeden Donnerstag-Abend im Klubrádió ihre Sendung, zu der sie jeweils einen ehemaligen Kollegen oder Volontär mit ins Studio brachten, der inzwischen weit weg arbeitete und Interessantes zu berichten hatte.

Hier wurde mal gesendet

Ihr Beitrag begann jedes Mal mit dem ominösen Orbán-Satz, den er am 18. September 2018 im Straßburger EU-Parlament auf Ungarisch von sich gab. Die Übersetzung: „Wir würden uns niemals dazu hinreißen lassen, jemanden mundtot zu machen, der nicht unsere Meinung teilt!“ Kaum ist das letzte Wort verklungen, als eine riesige, rauschende Welle von Gelächter, Applaus und Pfiffen der Parlamentarier ertönt.  
Ich habe den Satz inzwischen gut hundertmal gehört, und trotzdem staunte ich jedes Mal wieder über die blitzschnelle Reaktion der Zuhörer damals, nicht zuletzt dank der ungarischen Simultan-Dolmetscher, die den Satz, in mehreren europäischen Sprachen, gleichzeitig mit Orbán beendeten.

Nach 2018 sind mehrere oppositionelle Zeitschriften mit verschiedenen Tricks geschlossen worden, dem Klubrádió sperrte Orbán nacheinander alle Sende-Frequenzen im ganzen Land. Schließlich blieb nur Budapest. Doch dann verklagte der staatliche Medienrat am 11. Februar 2021 den Sender wegen drei zu spät abgelieferter Sendeberichte, und das Gericht beschloss nach gerade mal 2,4 Minuten Beratung den Entzug der Sendelizenz.
Seit Dienstag, dem 16. Februar, kann man das Klubrádió im Internet hören und sehen. Im Prinzip. Die Seiten, die ich aufgesucht habe, z B.: www.klubradio.hu, erscheinen mir wie ein Durcheinander für Schwerhörige, ohne Möglichkeit, die Lautstärke zu mindern.
Ich hoffe, das kommt noch.
Schließlich eine seltene, wirklich gute Nachricht: Wie ich bereits berichtete, hat Viktor Orbán den kleinen und kleinsten Unternehmen – wie meinem Gemüsehändler – die Hälfte der Gewerbesteuer, die eigentlich den Gemeinden zusteht, erlassen, um so oppositionelle Kommunen finanziell auszutrocknen.  
Doch vor wenigen Tagen bat der neue, junge, oppositionelle, fahrradfahrende Budapester Bürgermeister, Gergely Karácsony, die betroffenen Unternehmen, freiwillig weiter die ganze Steuer zu zahlen, wenn sie dazu in der Lage seien. Dafür kann er garantieren, dass (auch) die Müllabfuhr weiterhin funktionieren werde.

Eine Welle der Solidarität kam ins Rollen mit dem Motto: Meine Steuer für meine Stadt!  Und das ist doch schon etwas!  

Ein empfehlenswerter Beitrag mit dem Titel „Hallo Diktator“ ist auf Arte zu sehen:
www.arte.tv/de/videos/099755-000-A/hallo-diktator/   Fotos: privat/hungary today