Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

Magenbitter & koschere Geister

Seine Majestät, Kaiser Joseph II. von Österreich, in Personalunion mit sich selber Ungarischer König, hatte wieder einmal zu viel gegessen. Er litt an Völlegefühl. So fragte er seinen jüdisch-ungarischen Leibarzt: „Hams net was dagegen, Zwack?“

Dr. Josef Zwack fiel sogleich die revolutionäre Idee ein – Majestät möge weniger essen –, das aber wagte er nicht zu sagen. Ein anderes Mittel hatte er nicht. Niemand hatte es – bis der Medicus nach längerem Nachdenken sich an die Kräutermixturen seiner seligen Großmutter erinnerte. Und bereits ein Jahr später, 1790, präsentierte er sein bittersüßes Elixier aus insgesamt 40 Wurzeln und Kräutern, dazu 40 Prozent Alkohol. Der Kaiser befand, es sei einzigartig und nannte es Unicum. Die Produktion des ersten Magenbitters begann 1840 in Budapest. Ab 1904 unterstützte den ohnehin florierenden Absatz ein Plakat, das bis heute als das berühmteste des Landes gilt: Ein Mann im endlosen Meer, mit nasser schütterer Haarpracht lächelt kurz vor dem Ertrinken selig, denn vor ihm schwimmt eine kugelrunde, schwarze Unicum-Flasche mit dem roten Kreuz.

Während der 40jährigen proletarischen Diktatur gab es in Ungarn eine vereinfachte Ausführung des Bitters, denn die Zwacks hatten das Rezept ins italienische Exil mitgenommen, wo es in jeder noch so kleinen Pinte zu haben war. Inzwischen wurde Unicum von Fernet Branca abgelöst. Heute produziert und verkauft die Familie Zwack längst wieder in Ungarn – und nicht nur Magenbitter. Die koscheren Obstbrände haben im Land immer mehr Liebhaber. Denn nicht nur die vielen Rückkehrer aus Israel schätzen sie, sondern auch die vielen jüdischen Touristen. Die Herstellung ähnelt zum Verwechseln der Herstellung eines ordentlichen Birnen-, Zwetschgen- oder Aprikosen-Brandes: Die Früchte müssen reif sein, aber nicht gequetscht und nicht verfault. Zudem muss der Geist nach dem Destillieren reifen dürfen. Zum himmelweiten Unterschied aber muss der koschere Schnaps auch noch vom örtlichen Rabbi gesegnet sein.

Kenner schwören, den Akt am Geschmack zu erkennen.

Foto: privat/UngarnTourismus