Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

Zwei Donau-Inseln – zwei ungleiche Schwestern

Fluggäste aus Westeuropa sollten beim Anflug auf die ungarische Hauptstadt die Augen offenhalten. Auf dem Weg zum Airport im Osten von Budapest überfliegt man das Zentrum. Gutes Wetter und Fensterplatz vorausgesetzt, sieht man die breite Donau, den Gellért- und den Burgberg mit dem ehemaligen Königsschloss, die vielen Brücken – und zwei Inseln.

Etwas nördlich von der Stadtmitte und an die Westufer geschmiegt, liegt die kleine, längliche Schiffsbauer-Insel. Noch in den 1980-er Jahren wurden hier Flussschiffe gebaut. In der Tauwetter-Zeit des ostdeutschen Sozialismus zelteten hier Jugendliche aus der DDR, natürlich wild.

Doch seit 1993 gehört sie zu den Stars in der internationalen Popmusik-Szene. Denn seitdem steigt hier jährlich im August SZIGET (deutsch: Insel), eines der größten Pop-Festivals der Welt. Für Kenner: Zu sehen und hören sind dieses Jahr Arctic Monkeys, Dua Lipa, Gorillaz, Lana del Rey und ca. 40 ähnliche Acts.

Die feine, größere Schwester, die Margareten-Insel, liegt etwas südlicher, in der Mitte zwischen Buda und Pest, und sieht von oben wie ein Riesenfisch aus – festgebunden an zwei Brücken: Árpád im Norden, Margarete im Süden.

Der Vater der Namensgeberin, König Béla IV. aus dem Haus Árpád, gelobte 1241, nach einer verlorenen Schlacht gegen die Tataren, seine Tochter dem Allmächtigen zu schenken – wenn der Ungarn vom Feind errette. Der Allmächtige tat Béla IV. den Gefallen, und der hielt Wort. Er ließ auf der damaligen Hasen-Insel, Jagdrevier des europäischen Hochadels, ein Kloster für seine Tochter Margarete bauen. Die junge Dame, seit ihrem dritten Lebensjahr unter Nonnen, wurde auf der Insel nicht glücklich. Am Tag arbeitete sie schwer, in der Nacht geißelte sie sich für alle Sünden der Menschheit und starb vor ihrem 28. Lebensjahr. Sie ist im Ruinengarten des Klosters begraben.

Heute herrscht auf der größeren der Insel-Schwestern eine verwunschene Stille. In heißen Sommern spenden unzählige riesige Platanen angenehmen Schatten. Auf der für Privatautos gesperrten einzigen Pflasterstraße, immerhin 2,5 km lang, fahren blaue, leise summende Busse. Auch erlaubt und zu mieten sind Verkehrsmittel, die man selbst bewegen kann, Fahrräder, Fahrradrikschas etc. Mit ihnen radelt man zum Rosengarten, dem Zoo, zu den Kinderspielplätzen, zum alten Wasserturm oder zur Freilichtbühne, auf der es sommers Theater für Kinder gibt, bei dem auch schon mal Elefanten auftreten.

Mein Lieblingsplatz ist das ganzjährig geöffnete Palatinus Thermalfreibad* mit acht großen (36 bis 37 Grad) Warm-Wasser-Becken und einem Wellenbecken. Zudem wohnt dort ein zahmer weißer Storch, der als Jungvogel wohl vergessen hat weg zu fliegen und seither dank der warmen Dämpfe kommod überwintert.

Zuletzt sah ich ihn im vergangenen Winter. Es dämmerte gerade und schneite in großen Flocken. Ich saß mit Hut bis zum Hals im warmen Wasser. Er landete unweit, kam an den Beckenrand, und wir schauten einander an. Bald begann es heftiger zu schneien, und der weiße Vogel schien sich in nichts aufzulösen. Ich hoffe, ich sehe ihn wieder. Wie ich hörte, pflegt er zur Abendfütterung immer noch pünktlich zu erscheinen.

*Im Palatinus gibt es seit dem Winter 2017-18 auch ein Hallenbad mit allen einschlägigen Einrichtungen.

Foto: Ungarn Tourist