Unser Autor

Unser Kolumnist, der Ungar Péter Pál Meleghy, ist Autor vieler Reiseführer und Kochbücher und schreibt für verschiedene deutsche Zeitschriften. Er lebt in Hamburg und Budapest und betreibt die Website www.ungarnaktuell.de, außerdem die beiden Literaturseiten www.phantastisch-realistische-literatur.de und www.ein-oscar-fuer-hitler.com

Die Agentur des Teufels

Blanka Nagy

Im warmen Frühling 2017 wurde Ungarn mit Plakaten übersät, auf denen ein grinsender George Soros zu sehen war. Daneben der Satz: „Lassen wir es nicht zu, dass er zuletzt lacht!“
Auf den ersten Blick dachte ich: Keine überwältigende Kampfansage an die Opposition. Selbst schlichte Gemüter werden kaum darauf hereinfallen – es ging um die Parlamentswahl 2018. Ich hatte mich geirrt. Es war maßgeschneidert schlicht. Denn bald kamen Plakate mit der Botschaft, der Milliardär und gebürtige Ungar Soros habe einen Geheimplan, Europa mit Einwanderern zu fluten. Und das war schon etwas ordentlich Angsteinflößendes. Angstmachen ist zwar nicht gerade neu, aber immer noch wirksam. Orbán siegte denn auch 2018 mit Zweidrittel-Mehrheit.
Die Denker und Autoren hinter der Kampagne waren Arthur J. Finkelstein und George Birnbaum im fernen New York. Sie haben Orbán bereits bei seinem ersten Wahlkampf 2010 geholfen, an die Macht zu kommen. Außerdem dankten Richard Nixon, George W. Busch, Ariel Sharon, Benjamin Netanyahu und viele andere in Albanien, Österreich, Rumänien usw. für die freundliche Verbreitung von Angst und/oder eine gelungene Vernichtungskampagne ihrer jeweiligen Gegner.
Nach dem Tod Finkelsteins im Sommer 2017, als sich Orbáns Sieg schon abzeichnete, soll George Birnbaum der Gedanke an eine öffentliche Beichte gekommen sein. Sie geschah denn auch im Juni 2018 vor Journalisten in Berlin.
Was mich, den Autor dieser Zeilen, bis heute entsetzt, war Finkelsteins Grundthese: Im Land des Auftraggebers jemanden aussuchen, dessen Namen man kennt (George Soros, Universitätsgründer und Ehrenbürger von Budapest 2002), und ihn anpinkeln. Soros etwa sei ein Bösewicht, vor dem Ungarns heldenhafter Ministerpräsident Orbán die Nation retten will. Und kann. Und wird. Dann macht man weiter mit neuen angsteinflößenden Vorwürfen. Und sollte der Gegner in der Presse seine Unschuld beteuern: Wunderbar! Damit brüht er das Thema auf. Diesen Gefallen allerdings hat ihm Soros (mit dessen Stipendium Orbán und nicht nur er einst studiert hat), nicht getan. Trotzdem hat der teuflisch-geniale Plan funktioniert. Und Finkelstein soll noch vor seinem Tod geprahlt haben, der Sieg in Ungarn werde seine Meisterleistung.

Ungarns Opposition hat eine neue Stimme

Und die heißt Blanka Nagy, hat rote Haare, ist hübsch, erfrischend frech und 18 Jahre alt. Sie lebt mit ihren Eltern auf dem Land, in Kiskunfélegyháza, reist aber zu Demos durch Ungarn mit ihrem dicken Notizbuch, woraus sie ihre Texte vorliest.
In einer ihrer ersten Reden nannte sie Orbán, neben anderen ähnlichen Attributen, „ekelhaft“. Darauf erwiderte die Dreckschleuder der Regierung, Zsolt Bayer, im Fernsehen, sie sei eine schlechte Schülerin und eine Proletin. Selbstbewusst antwortete sie bei der nächsten Demo: Ja, sie sei nicht der Primus der Klasse, doch seien ihr auch ihre Reden wichtig, und die rauben eben Zeit – selbst vom Lernen. Außerdem möge er, des „Königs Hofnarr“, bedenken, dass die Stühle und Tische in seinem Studio von einfachen Arbeitern – Proleten – gebaut wurden. Zudem möge er wenigstens einmal nicht in die Kamera, sondern in einen Spiegel schauen, während er die endlosen Lügen von sich gibt. Und sie holt immer wieder aus: Orbáns Partei sei eine Krankheit, er selbst eine böse Zellwucherung. Die regierenden FIDESZ-Politiker seien allesamt durchgefallen in den Fächern Verantwortung und Menschlichkeit. Ihre jüngste öffentliche Rede beendete sie mit dem historischen Ruf der 1848er Revolution: „Bisher waren wir Gefangene. Wollen wir es bleiben? Wählt!“ Sie erntete langen, orkanartigen Beifall.
Ihr vorerst letzter Auftritt war beim Parteikongress der Ungarischen Sozialistischen Partei, am Samstag, dem 16. März. Frans Timmermans, EU-Kommissar und Spitzenkandidat bei der Europa-Wahl im Mai, hatte sie zu einem Gespräch eingeladen. Dabei ging es nicht um die Angriffe gegen sie, sondern um die wichtige Rolle der Jugend in der Politik, und um Blanka Nagys Pläne. Sie werde endlich und fleißig fürs Abi, ebenfalls im Mai, büffeln – was Timmermans mit Bedauern verstand.
Derweil ist es bei der Budapester Jugend und besonders in der Skate-Board-Szene schick geworden, sich selbst als einen Knecht des Buhmanns Soros zu bezeichnen – nur so aus Spaß.

Fotos: privat/magyarnarancs.hu