IFMan ist schon irritiert. Erst steht man vor einer eindeutig russisch-orthodoxen Kathedrale in Rosa und Weiß mit den typischen Zwiebeltürmchen. Dann heißt wenige Schritte weiter ein Turm „Kiek in de Kök“, was nun wirklich Plattdeutsch klingt. (Für alle südlich der Elbe die Übersetzung: Guck in die Küche.) Und den Berg hinunter findet man eine Straße namens „Rüütli“.

IFTallinn, die Hauptstadt Estlands, hat eine bewegte Geschichte. Mal war sie schwedisch, dänisch oder deutsch, mal russisch, mal selbständig, aber ob auch die Schweizer hier mitmischten, ist unbekannt. Die „Alexander Nevskij Kathedrale“ jedenfalls ließ 1894 Zar Alexander III. bauen und benannte sie nach dem Fürsten und russischen Nationalhelden Alexander Jaroslawitsch Nevskij, der 1246 die Esten (nebst Deutschen und Dänen) vernichtend geschlagen hatte. Und deshalb in Estland auch nicht sonderlich beliebt war. Im Mittelalter bürgerte sich für hohe Türme der niederdeutsche Name „Kiek in de Kök“ bis ins Baltikum hinauf ein. Der Kanonenturm in Tallinn stammt von 1475, ist 38 Meter hoch, und seine Mauern sind 3 bis 4 Meter dick. Heute beherbergt er ein Museum zur Verteidigungsgeschichte Estlands. Na, und der Name Rüütli ist schon seit Generationen in Estland beheimatet und klingt wohl nur für unsereins schweizerisch.
IFHeute ist Tallinn jedenfalls eine höchst lebendige, attraktive Großstadt, die als Party-Hauptstadt Europas gilt. Das alte Tallinn besteht aus der Oberstadt auf dem Toompea Berg mit eigener Stadtmauer und vielen wunderbar restaurierten Palästen und der Unterstadt mit attraktiven Handwerker- und Bürgerhäusern. Außen herum wächst das neue Tallinn.

Regiert wird Estland auch heute von „Toompea Castle“ aus, der Burg Tallin oder dem Castrum Danorum, einem im 13. Jahrhundert von Dänen errichtetem Schloss gegenüber der Alexander Nevskij Kathedrale. Die barocke Fassade in kräftigem Pink wurde im 18.Jahrhundert davor gesetzt. Schlendern Sie durch die Oberstadt, und schauen Sie von den drei Aussichtsterrassen aufs alte und aufs neue Tallinn und auf die Ostsee. Mit Glück können Sie in der Ferne Helsinki erkennen.
IFWenn man jetzt die Straße „Pikk Jalg“ (langes Bein) in die Unterstadt hinuntergeht, durchquert man erst ein Stadttor und läuft ein paar Schritte weiter rechterhand direkt auf den Rathausplatz (Raekoja Plats). Hier sollte man in einem Straßencafé Platz nehmen und den Anblick der mittelalterlichen Fassaden genießen. Das gotische Rathaus wurde 1404 gebaut, oben auf der Turmspitze hält „Vana Toomas“ (Der alte Thomas), der Schutzpatron Tallinns, seit 1530 die Wetterfahne. Der Legende nach teilte der alte Thomas Süßigkeiten an die Kinder der Stadt aus. Nach seinem Tod zeigten die Eltern zur Turmspitze bzw. gen Himmel, wenn die Kinder nach ihm fragten. Im Bürgersaal und im Ratssaal des Rathauses kann man prächtige Gewölbe und kunstfertige Schnitzereinen besichtigen.

IFSchräg gegenüber steht die Ratsapotheke von 1422, eine der ältesten Europas. Von 1583 bis 1911 war sie im Besitz der ursprünglich ungarischen Familie Johann Burchart. Gehen Sie hinein, man verkauft dort auch heute noch Aspirin und Pflaster.
Wem jetzt nach Elchwurst oder Schwein in Biersauce ist, der findet um die Ecke, in der Vana Turg 1, das Traditions-Restaurant „Olde Hansa“ mit derben Holzbänken und Wildschweinfellen, Kerzenlicht und Honigbier. Aber das muss man schon mögen.  Wir spazieren lieber die „Pikk“ hinunter und schauen die prächtigen Fassaden an. Nr. 26 zum Beispiel ist das „Schwarzhäupterhaus“. Dort residierten von ca. 1400 bis 1940 unverheiratete deutsche Kaufleute als Bruderschaft hinter dem prachtvollen Renaissanceportal. Auch die Säle, in denen heute Konzerte stattfinden, sind beeindruckend.

Am Ende der „Pikk“ steht die „Dicke Margarete“, ein Wehrturm aus dem 16.Jahrhundert, und ein Stadttor daneben. Dort ist jetzt das estnische Meeresmuseum zuhause. Vom Dach hat man einen tollen Blick! 

IFKurz davor lehnen sich die „Drei Schwestern“ aneinander, spitzgieblige gotische Kaufmannshäuser aus dem 14. Jahrhundert, in denen heute ein Luxushotel der Extraklasse Gäste aus aller Welt beherbergt.

Falls Sie nicht im Hotel essen möchten und auch irgendwie genug von all den anderen Touristen haben, dann empfehlen wir einen kleinen Gang ins moderne Tallinn. Gleich außerhalb der alten Stadtmauern haben sich in frisch restaurierten Hafenschuppen zwei junge Restaurants nieder gelassen, das „Platz“ (Roseni 7) und das „Alter Ego“ (Roseni 8). Beide schick und modern eingerichtet, und das Essen ist leicht, saisonal und richtig lecker!
Fotos: CO